Süddeutsche Zeitung

Francesco Totti beim AS Rom:"Wir wollen ein modernes Kolosseum"

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Francesco Totti, der ewige Kapitän des AS Rom, fordert ein neues Stadion für seinen Klub. Er ist so beliebt, dass die Politik kuschen muss.

Von Birgit Schönau, Rom

Der Frühling schickt die ersten lauen Lüfte in die unvergleichliche Stadt Rom, und im Fußball läuft es richtig rund. Zehn Tore der beiden Erstligaklubs an einem einzigen Spieltag, sechs vom Tabellenvierten Lazio, vier vom Zweiten AS Rom, so etwas hat man lange nicht gesehen. In drei Wochen treffen Wölfin (Roma) und Adler (Lazio) im Pokal-Halbfinale aufeinander - das Derby verspricht richtig guten Fußball. Auch das Olympiastadion könnte dabei eine festliche Kulisse abgeben, nach der deprimierenden Leere der letzten Jahre.

Denn am Dienstag, nur wenige Stunden vor dem 4:0 des AS Rom gegen den AC Florenz, beschlossen Innenminister und örtliche Polizei, jene Gitterabsperrungen zu entfernen, die die Kurven im Olympiastadion zweigeteilt und die darüber erbosten Fans zu einem fast zweijährigen Stadionboykott provoziert hatten. Im Kampf um die Gitter verloren vor allem die Vereine. Lazio verzeichnet in der laufenden Saison durchschnittlich 17 800 Zuschauer, die Roma knapp 28 000.

Am Dienstagabend waren von den 70 000 Plätzen wieder nur 24 000 besetzt, es gab beim 14. Heimsieg in Serie viel Fußball und doch wenig Feierlaune. Edin Dzeko katapultierte sich mit zwei Toren und insgesamt 17 Treffern an die Spitze der Torjäger in der Serie A. Außer dem Ex-Wolfsburger trafen Federico Fazio und Radja Nainggolan, und zehn Minuten vor Schluss wurde das römische Idol Francesco Totti eingewechselt.

Rom erlaubt die Totti-Gala am Abend

Wenn Totti am Saisonende seinen vermutlich letzten Auftritt absolviert, werden die Kurven-Barrieren abgebaut sein. Der größte Fußballer der Stadt soll vor vollen Rängen verabschiedet werden. Und wer weiß, ob nicht die Aussicht auf Tottis Abtritt die Behörden zu weiterem Einlenken bewegte: Das Pokal-Halbfinale darf abends stattfinden - bislang wurden Derbys stets am hellen Nachmittag anberaumt, aus Angst vor Ausschreitungen im Schutz der Dunkelheit. Jetzt erlaubt Rom die Totti-Gala unter dem Sternenhimmel. Man könnte sich also freuen, wenn in Rom nicht gerade die alte italienische Volksweisheit bestätigt würde, dass der Fußball immer dann besonders tröstlich ist, wenn die Politik versagt.

Tatsächlich produziert die Stadtverwaltung um Bürgermeisterin Virginia Raggi von der postdemokratischen Fünfsternbewegung gerade ein Eigentor nach dem nächsten. Kein Mensch weiß, ob Raggi, gegen die gleich zwei Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauchs laufen, beim nächsten Derby noch im Amt sein wird. Dass die Roma-Anhänger beten, die Lazio-Sympathisantin an der Stadtspitze möge wenigstens bis zum 3. März durchhalten, hat einen besonderen Grund. An diesem Tag läuft die Genehmigungsfrist für den Neubau des neuen Stadions ab.

Vor gut vier Jahren hatte AS-Rom-Präsident James Pallotta die Pläne für ein klubeigenes Stadion mitsamt zweier Wohntürme des Architekten Daniel Libeskind vorgestellt - es wäre das vierte in der Serie A nach den Arenen von Juventus, Udinese Calcio und US Sassuolo. Seither ist viel Wasser den Tiber hinuntergeflossen, doch in Sachen Stadion hat sich an den Ufern des alten Flussgottes nichts bewegt. Auf den juristischen Hickhack um die Besitzverhältnisse folgte der übliche bürokratische Schlendrian und im vergangenen Juni, mitten in der heißen Phase für die Baugenehmigungen, der Machtwechsel auf dem Kapitol. Ins dort platzierte Rathaus zog die Fünfsterne-Frau Raggi.

Im Wahlkampf hatte sie versprochen, Roms Olympiabewerbung für 2024 zu stoppen, und wenigstens dabei hielt sie Wort. Auch das Stadion, so erklärten nach dem Olympia-Aus die neuen Herren und Frauen auf dem alten Hügel, habe für Rom keine Priorität. Wozu braucht man Fußball? Für die Fünf Sterne zählt nur das Internet.

Die Römer sehen das ein bisschen anders. Sicher, den Müll von den Straßen zu kehren und die Löcher im Asphalt zu flicken, wären auch wichtige Aufgaben für eine Stadtverwaltung. Aber wenn diese Selbstverständlichkeiten erledigt sind, möchte man eigentlich auch mal gern Weltstadt sein. Das Kolosseum, die antike Wiege des großen Volksspektakels, wurde soeben mit (privatem) Geld renoviert, nun könnte eigentlich auch mal eine angemessene neue Arena her. Doch mit zunehmender Unruhe bemerkte man beim AS Rom, wie das Stadion-Projekt von der Stadtverwaltung buchstäblich kleingeredet (Verminderung der Fläche um zwei Drittel) und ins Abseits vertagt wurde. Bis am Sonntag Francesco Totti in den Ring stieg. Per Twitter verkündete Totti: "Wir wollen ein modernes Kolosseum, eine Avantgarde-Arena für unsere Tifosi und alle Sportsfreunde." Weckruf der Wölfin. Im Internet applaudierten Zehntausende.

Vor Totti kuschen die Politiker

Die Stadion-Offensive war vom Klub geschickt platziert und von Totti gekonnt in Richtung Tor getreten worden. Der 40-Jährige ist ein Volkstribun, vor dem noch jeder Politiker brav gekuscht hat, Virginia Raggi macht da keine Ausnahme. "Lieber Francesco Totti, wir arbeiten daran", flötete die sonst so spröde Bürgermeisterin und lud den Spieler gleich zu sich ins Büro ein: "Wir erwarten dich auf dem Kapitol, um darüber zu reden." Totti im Rathaus, das wäre für die angezählte Politik-Dilettantin ein Super-Fototermin gewesen.

Doch der altgediente Profi Totti parierte die Duz- und Charmeattacke: "Ich wäre glücklich, die Bürgermeisterin zu treffen, am besten, um gemeinsam auf den definitiven Abschluss für das Stadionprojekt anzustoßen." Erst der Sieg, dann die Feier. So macht man das im Fußball, egal, wer der Gegner ist.

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SZ vom 09.02.2017
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