Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Vettel stellt das Auto ab - und grollt

Lesezeit: 3 min

Von Philipp Schneider, Hockenheim

Schon wieder, wie vor vier Wochen, stemmte Sebastian Vettel seine Hände auf den roten Lack. Er drückte sich raus aus dem Cockpit, schob sich hinaus zu den Männern in den roten Overalls, die in seiner Garage standen. Vettels Techniker, Mechaniker. Allesamt nicht nur zuständig dafür, dass sein Rennwagen so schnell läuft wie möglich, sondern zunächst einmal zuständig dafür, dass er überhaupt rollt. Ein Rennwagen, der nicht fährt, hat keine Daseinsberechtigung. Das gilt auch für einen Ferrari.

Er habe manchmal kein Vertrauen in den SF90H, hatte Vettel nach dem vergangenen Rennen in Silverstone gesagt. Er meinte: in den Kurven. Noch nie in dieser Saison allerdings hatte ihn sein Dienstwagen so sehr im Stich gelassen wie nun am Samstag, kurz nach drei in Hockenheim. Vettel stellte ihn ab im ersten Abschnitt der Qualifikation, schon nach dem Einrollen. "Es gibt ein Problem, ich verliere Kraft, schaut euch das mal an!", sprach Vettel in sein Helmmikrofon. Er rollte rein in die Box. Seine Techniker schauten. Und schraubten. Sie nahmen die rote Verkleidung ab, die Innereien des Autos lagen offen und ungeschützt da. Irgendwas am Turbo war defekt. Da ging nichts mehr.

Also kletterte Vettel raus aus dem Ferrari, verließ die Garage, trug seinen Helm in der Hand, und weil die Veranstalter eine sehr, sehr langsame Slow-Motion einspielten, sah man auch gut, dass er beim Gehen mit den Zähnen malmte. Vettel wirkte verbitterter als im vorvergangenen Rennen in Spielberg, als ihn das Auto auch in der Qualifikation im Stich gelassen hatte. In Österreich musste er nach dem zweiten Qualifikationsabschnitt passen, es gab Probleme mit der Pneumatik, über die Ferrari-Chef Mattia Binotto sagte, er habe einen derartigen Defekt noch nie erlebt. In der Steiermark durfte Vettel zumindest noch als Neunter ins Rennen starten. Diesmal werden die ersten drei Fahrer - Lewis Hamilton, Max Verstappen und Valtteri Bottas - etwas zu weit entfernt sein für Vettels scharfe Augen. Alle anderen Piloten hat er dafür ohne Blick in den Rückspiegel im Sichtfeld, wenn er am Sonntag aus der hinterletzten Parkbucht aufbricht in sein nächstes und womöglich letztes Abenteuer auf dem Hockenheimring, auf dem er in seiner Karriere nie gewinnen konnte.

Letztes Abenteuer, weil die Streckenbetreiber keinen gültigen Vertrag für die kommende Saison besitzen und wohl auch nicht mehr erhalten. Vettel ist 40 Kilometer Luftlinie entfernt von der Rennstrecke aufgewachsen, er hätte sehr gerne einmal in der Heimat gewonnen. "Eigentlich stinkt mir das jetzt", sagte Vettel. "Die Chance, richtig weit vorne zu stehen, wäre heute da gewesen. Die Pole war in Reichweite. Sehr, sehr bitter. Gerade hier."

Ein Desaster für die Scuderia Ferrari, könnte man meinen. Ein Desaster aber kennt keine Steigerung. Und die erlebte der Rennstall aus Maranello wenige Minuten später auch noch. Charles Leclerc kletterte ebenfalls vorzeitig aus seinem Auto. Im dritten und letzten Qualifikationsabschnitt. Es war tatsächlich so: Die Piloten der Scuderia hatten alle drei Trainingseinheiten gewonnen. Zweimal war Leclerc der Schnellste gewesen, einmal Vettel. Nun starten sie trotzdem als Zehnter und Zwanzigster. "Ich habe keine Ahnung, ob es dasselbe Problem wie bei Seb war, bei mir lag es an einem Problem im Benzinsystem", meinte Leclerc.

Vettel wurde vom Bayerischen Rundfunk gefragt, ob denn nicht inzwischen ersichtlich sei, dass das Übel, welches die Scuderia in dieser Saison erfasst hat, nicht von den Fahrern verursacht wurde? "Der Wind dreht sich relativ schnell", antwortete Vettel. Gut möglich, dass der Wind irgendwann auch mal Binotto entgegenweht. Es streikt die Technik im Rennstall eines Teamchefs, der noch immer auch sein Technikchef ist - wenngleich er diese Verantwortung bald abzugeben gedenkt.

So also kam es, dass sich Lewis Hamilton die 87. Pole Position seiner Karriere und die vierte in dieser Saison sicherte. Obwohl er nach der Qualifikation deutlich geschwächt auf dem Podium saß, von Halsschmerzen erzählte, und berichtete, man habe bei Mercedes vor der Zeitenjagd über ein Worst-Case-Szenario nachgedacht, in dem ein Ersatzfahrer Hamiltons Silberpfeil gelenkt hätte. Hamiltons Kraft reichte trotzdem noch, um ein bisschen Mitgefühl gegenüber Ferrari auszudrücken: "Man strengt sich an im Training, dann erlebt man so eine Qualifikation, das muss ein schreckliches Gefühl sein."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4542281
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Sz.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.