Süddeutsche Zeitung

Grosjeans Unfall in der Formel 1:Aus den Flammen befreit

Lesezeit: 4 min

Der schwere Unfall von Romain Grosjean überschattet das Formel-1-Rennen in Bahrain. Die Explosion beim Aufprall ist gigantisch - doch der Franzose erleidet offenbar nur Verbrennungen.

Von Anna Dreher, Sakhir/München

27 Sekunden. So lange saß Romain Grosjean in den Flammen. Und so lange war nicht klar, ob er überleben würde, was eben passiert war. Das Feuer wütete meterhoch und mit wildem Zucken, dunkler Rauch stieg auf. Grosjean war erst nicht zu sehen, dann aber fingen Kameras ein, wie er sich im Inneren des Feuers aus seinem Cockpit befreite, wie er mit beiden Händen die Leitplanke ergriff, durch die er gerade mit seinem Rennwagen gerauscht war. Wie er über das verbogene Metall sprang, mit nur noch einem Schuh am Fuß und mit Hilfe der herbeigeeilten Streckenposten, die ihn stützten und mit Feuerlöschern absprühten und so schnell wie möglich wegzogen von den Flammen. Und dass Grosjean überhaupt aus dem Feuer stieg, war unglaublich. Denn im ersten Moment hatte es nicht danach ausgesehen, als könnte er diesen Unfall annähernd unversehrt überstehen.

Das drittletzte Rennen dieser Formel-1-Saison auf dem Bahrain International Circuit hatte gerade erst begonnen. Die Fahrer waren um die ersten Kurven gebogen, als Grosjean mit seinem Haas im Gewimmel des hinteren Teils des Feldes eine Lücke nutzen wollte, die er zwischen seinem Teamkollegen Kevin Magnussen und dem Alpha Tauri des Russen Daniil Kwjat ausgemacht hatte. Der 34 Jahre alte Franzose zog von der Mitte der Strecke hart nach rechts. Doch die Lücke war nicht groß genug. Er berührte mit seinem rechten Hinterrad das linke Vorderrad von Kwjats Wagen - und während dieser weiter geradeaus fahren konnte, wurde Grosjeans Bolide wie ein Torpedo mit wohl 220 km/h durch die Leitplanken gejagt. Das Rennen wurde sofort abgebrochen, die übrigen Fahrer lenkten ihre Autos in die Boxengasse, Schlimmstes war zu befürchten.

"Ich habe in zwölf Jahren nicht so viel Feuer gesehen"

Die Explosion beim Aufprall war gigantisch, der Rennwagen wurde brutal in zwei Teile gerissen. Die hintere Hälfte stand parallel vor der Leitplanke. Die vordere Hälfte, in der Grosjean saß, war durch die Streckenabsperrung geknallt und in den Flammen nicht mehr auszumachen. Wie genau sich dieser Teil dabei gedreht haben musste, war nicht direkt zu erkennen. Fest aber stand, was für enormes Glück Grosjean hatte. Denn wie auch immer er im Cockpit durch die Leitplanke gedrückt wurde, sein Chassis hat ihm wohl das Leben gerettet. Eine entscheidende Rolle dürfte dabei auch der Cockpitschutz, der sogenannte Halo, gespielt haben. Dieser Bügel aus Titan ist 2018 eingeführt worden, um den Kopfbereich der Fahrer zu schützen. Und auch dank des Halo blieb Grosjean einigermaßen unversehrt. Was ebenso daran lag, dass er gerade noch rechtzeitig aus den Flammen herausgekommen war.

35 Sekunden lang halten die Overalls und die Unterwäsche der Formel-1-Fahrer im Feuer stand. Eine Schutzmaßnahme, die 1979 nach dem verheerenden Unfall von Niki Lauda auf dem Nürburgring 1976 eingeführt worden waren. Einem der schlimmsten Unglücke der Motorsportgeschichte, bei dem Lauda schwerste Verbrennung erlitt - und an das am Sonntag unweigerlich Erinnerungen aufkamen. Unweit vom Unfallort wurde Grosjean vom Streckenarzt untersucht. Auch das war ja sein Glück: Dass nicht nur die Streckenposten, sondern auch das Medical Car ganz in der Nähe und somit ganz schnell bei ihm war, weil es stets dem Fahrerfeld hinterherfährt. "Ich habe in zwölf Jahren nicht so viel Feuer gesehen. Romain ist alleine aus dem Auto gekommen. Das ist unglaublich", sagte Alan van der Merwe, der Fahrer des Medical Car. "Es ist super zu sehen, dass alles funktioniert hat: die Leitplanken, der Halo, die Rettungsmaßnahmen."

Als Grosjean aus dessen Auto aufstehen wollte, musste er von zwei Leuten gestützt und zur Trage eines Krankenwagens gebracht werden. Kurz darauf wurde er mit dem Hubschrauber in ein nahegelegenes Militärkrankenhaus geflogen. "Er ist im Krankenhaus, um sich durchchecken zu lassen. Er hat kleinere Verbrennungen dort, wo die feuerfeste Kleidung Lücken hat. Das war Glück im Unglück", sagte Grosjeans Teamchef Günther Steiner.

Als die Streckenposten das Feuer gelöscht hatten und anfingen, die Trümmerteile zu bergen, wurde das Ausmaß des Unfalls noch deutlicher. Denn von dem vorderen Teil des Wagens war nicht mehr viel übrig. Das Monocoque, das den Piloten umgibt, war als einziger Bestandteil noch einigermaßen zu erkennen - aber total ausgebrannt. Alles andere war zu Asche geworden. Die Arbeiten an der Unfallstelle dauerten eine Weile an. Die Wrackteile mussten entfernt, die Leitplanke repariert werden. Ein Traktor brachte Betonelemente, mit denen eine neue Absperrung aufgebaut werden konnte. In der Boxengasse sahen die anderen Fahrer, was gerade noch hinter ihnen passiert war. Lewis Hamilton schüttelte entgeistert den Kopf. "Es war schockierend, diese Bilder zu sehen", sagte er. "Wenn wir in die Autos steigen, wissen wir, dass wir ein Risiko eingehen. Aber es ist schrecklich, wenn man so etwas sieht. Ich bin froh, dass der Cockpitschutz funktioniert hat, dass die Leitplanke ihm nicht den Kopf abgeschnitten hat."

85 Minuten nach dem Unfall wurde das Rennen fortgesetzt. Und wieder lief nicht alles reibungslos. Denn wieder ereignete sich in der ersten Runde ein Unfall. Der Kanadier Lance Stroll war mit Kwjat kollidiert, woraufhin sich sein Racing Point überschlug. Doch Stroll funkte sein Team schnell an, er sei okay, und kraxelte aus dem Cockpit. Hamilton, der sich beim Grand Prix in der Türkei vor zwei Wochen vorzeitig seinen siebten WM-Titel gesichert hatte, führte das Rennen nach der Safety-Car-Phase bis zum Schluss an und gewann bei seinem elften Saisonsieg vor den beiden Red-Bull-Piloten Max Verstappen und Alexander Albon. Sebastian Vettel kam im Ferrari als Dreizehnter über die Ziellinie. Doch wer wen wie hinter sich gelassen hatte, das war an diesem Tag nur noch eine Nebensache.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2020
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