Süddeutsche Zeitung

FC Ingolstadt:Mehr Psychologe als Taktiker

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Springend, pfeifend oder schreiend: Mit dem polarisierenden Tomas Oral hat der FC Ingolstadt kein Spiel mehr verloren. Der Trainer wendet bisweilen ungewöhnliche Methoden an.

Von Johannes Kirchmeier

Wenn man es böse mit ihm meint, könnte Tomas Oral unterstellt werden, dass er zuletzt seinen Job nicht gemacht hat. Denn am vergangenen Sonntagabend, als eine Lautsprecherdurchsage die Ingolstädter Stadionbesucher nach dem 3:0 gegen den SV Darmstadt 98 aufschreckte und aus dem Sportpark wies, da war Oral nicht zur Stelle. Er hielt still, wartete auf die örtliche Berufsfeuerwehr, die offenbar ein durchgeschmortes Kabel entdeckte und Entwarnung geben konnte. Zu Schaden kam niemand in der Arena des Zweitligisten.

Auch nicht der gebürtige Ochsenfurter Oral, der sich zum Zeitpunkt des Alarms im Kabinentrakt befand und über den der Vorstandsvorsitzende des FC Ingolstadt, Peter Jackwerth, noch nach seiner Verpflichtung vor sechs Wochen verheißungsvoll sagte, dass er eine "Feuerwehrtruppe" anführe. Was Jackwerth jedoch weniger auf die Löschfähigkeiten im wörtlichen, sondern vielmehr auf den übertragenen Sinn bezog. Die Rollenverteilung stimmte also schon am Sonntag. Oral ist ja von Beruf Fußballtrainer. Nur die Ingolstädter Mannschaft war damals, sieben Spiele vor Saisonende, in etwa solch einem Zustand wie das Stadionkabel am Sonntag: als abgeschlagener Tabellenletzter mit fünf Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz.

Blickt man in diesem Wissen auf Oral, fällt die Bewertung seiner Arbeit anders aus: Der 46-Jährige hat sehr wohl seinen Job gemacht, einen Spieltag vor dem Saisonende ist der FC Ingolstadt nicht mehr vom Relegationsplatz zu verdrängen. Wenn der Klub am Sonntag um 15.30 Uhr in Heidenheim gewinnt, wo er noch nie Punkte verlor, und Jahn Regensburg den SV Sandhausen besiegt, würde Orals Team sogar den direkten Ligaverbleib schaffen. Dieser Zieleinlauf käme nach der lange desolaten Spielzeit einem Wunder gleich. "Wir wollten in den vergangenen Wochen irgendwie versuchen, ein Endspiel zu haben, um die Liga halten zu können. Eines haben wir, vielleicht auch drei", sagt der Trainer. In der Relegation träfe sein Team in zwei Spielen dann auf den SV Wehen Wiesbaden.

Wer den FC Ingolstadt in den vergangenen Partien beobachtet hat, der musste davon ausgehen, dass der Verein mittlerweile eine andere Mannschaft stellt als jene, die zuvor lediglich 19 Punkte in 27 Spielen geholt hatte. In Wahrheit sind die Spieler die gleichen, neu sind nur Oral, die zwei Co-Trainer Michael Henke und Mark Fotheringham sowie der Sportverantwortliche Thomas Linke. "Sie hatten direkt einen Plan", sagt Kapitän Almog Cohen. "Inzwischen kommen bei uns Leidenschaft und Kampf zuerst. Wenn man diese Eigenschaften einbringt, kommt auch unsere Qualität zum Tragen." Seit Orals Start hat Ingolstadt kein Spiel verloren, mit fünf Siegen und einem Remis führt er eine Tabelle in diesem Zeitraum an.

Wenige Minuten vor der Stadionräumung blickte der Coach am Sonntag noch einmal auf den Beginn seiner Mission zurück - und wie heikel diese war. Über die Situation vor der ersten Partie, einem 4:2 in Duisburg, sagte er: "Ich wusste, wenn wir da nicht gewinnen, hätte ich im Navi Frankfurt ( seinen Wohnort, Anm. d. Red.) eingeben und wieder nach Hause fahren können. Aber es kam anders."

Das hat seine Gründe: Oral hat seit jeher seine Mittel dafür, vermeintlich aussichtslose Lagen zu wenden. "Jedes Jahr brauche ich so eine Situation nicht", sagt er zwar, fügt jedoch an: "Aber natürlich reizt so etwas." Als Trainer ist er mehr Psychologe als sturer Taktiker. Beim FSV Frankfurt schickte er die Spieler durch eine Waschstraße, in Ingolstadt schöpfen die Kicker ihre Kraft aus weißen Bändchen am Handgelenk. 2017, als er ohne Anstellung war, eröffnete er in Frankfurt ein Café, das er "Leidenschaft" taufte und immer noch betreibt. Der Name steht für den 1,68 Meter großen Mann, der am Fußballplatz mit Verve und springend, pfeifend oder schreiend versucht, den Fokus auf sich ziehen. Das gilt nicht nur für Anweisungen an seine Spieler: Partie für Partie diskutiert er mit dem vierten Offiziellen am Seitenrand, mal klopft er auch dem Linienrichter herzlich an den Oberarm. Mit diesen Aktionen kreierte er zuletzt Radau am Seitenrand, der regelmäßig auch gegnerische Trainer aus der Fassung brachte.

Letztlich sorgte er so für eine lange nicht mehr gesehene Euphorie im Sportpark: Die Fans feierten wieder mit den Spielern, der Macher Jackwerth packte Oral am Sonntag am Genick und schüttelte ihn voller Freude durch. Vor sechs Wochen sagte Jackwerth über die Feuerwehrtruppe übrigens noch, dass sie "nicht mehr da sein wird in der neuen Saison". Es deutet immer mehr darauf hin, dass sie ihren Einsatz ähnlich erfolgreich beenden könnte wie die Ingolstädter Berufsfeuerwehr den am Sportpark.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2019
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