Süddeutsche Zeitung

FC Bayern vor dem CL-Viertelfinale:Stadtführer ohne Heimweh

Lesezeit: 2 min

Franck Ribéry überrascht beim Wiedersehen mit den alten Bekannten in Marseille: Er trägt Anzug und spricht deutsch. Vor dem Viertelfinal-Hinspiel des FC Bayern in der Champions League bezeichnet der Franzose München als sein Zuhause. In Marseille liebt man ihn trotzdem. Der Rest des Landes sieht ihn weitaus kritischer.

Andreas Burkert, Marseille

Der Frühling hat es jetzt schon ziemlich schwer in Marseille, der Sommer drängt voran am Golfe de Lion, allein das Mittelmeer besteht bei Temperaturen von 13 Grad auf kalendarische Vorgaben. Der FC Bayern hat es auf seinen Touren durch Europa schon schlechter angetroffen, Dienstagmittag stieg seine Delegation hier in einem schönen Hotel an der Küstenstraße ab, ein paar Kilometer vom Zentrum entfernt.

Einen beheizten Pool fanden sie dort vor und etwas Abgeschiedenheit von der lebendigen Hafenstadt und dem Trubel vor dem europäischen Viertelfinal-Hinspiel diesen Mittwoch gegen OM. Nur Franck Ribéry kam zunächst nicht nur Ruhe. Die Marseillais sind weiter vernarrt in ihn.

Es gab ein großes Hallo, als der französische Bayern-Profi dort eintraf, wo er von 2005 an für zwei Jahre bis zu seinem Wechsel nach München spielte. Als er ging, haben sie ihn nach dem letzten Spiel mit einem Traktor durchs Vélodrome kutschiert. Beim Wiedersehen überraschte er seine Landsleute nun in mehrfacher Hinsicht: Er trug Anzug und Krawatte und antwortete meist auf deutsch. In den Übersetzungen mussten die Gastgeber zudem vernehmen, wie wohl sich der bald 29-Jährige in Süddeutschland fühle - von Heimweh keine Spur.

München sei "wie ein Zuhause", sprach der Flügeldribbler, "dieser Präsident, die Leute, ich bin sehr glücklich dort, und ich habe mein Niveau zurück". Delegationsleiter Uli Hoeneß und der aktuell zweitbeste Münchner Liga-Scorer pflegen ja eine Art Vater-Sohn-Beziehung, vorige Saison verbündeten sie sich früh gegen den damaligen Zuchtmeister Louis van Gaal.

"Ich weiß nicht, ob ich ohne ihn noch im Verein wäre", sagt Ribéry über Präsident Hoeneß und schwelgt vage, er würde gern die Karriere in München beenden. Nach Frankreich zieht ihn jedenfalls so bald nichts zurück, "wenn ich dort ankomme, werde ich sofort kritisiert", klagt er. Die Nation hat ihm seine Rädelsführerschaft beim WM-Eklat um das Nationalteam 2010 ebenso wenig verziehen wie eine delikate Rotlichtaffäre.

Aber in Marseille sind sie ihm zumindest bis zum Anpfiff gewogen; dank seines Draufgängertums, seiner wenig glamourösen Wurzeln und auch wegen der schönen Ablöse der Bayern von 25 Millionen Euro hat er einen Stein im Brett. Mit Spielbeginn könne sich das ändern, ahnt Ribéry. Natürlich sei Olympique nur Neunter der Ligue 1 und in der Bredouille, "aber in ihrem Stadion spielen sie sehr emotional, da haben wir 60 000 gegen uns". Dabei finden in der Baustelle Vélodrome zurzeit nur 40 000 Platz.

Einer der Besucher ist überraschend Bastian Schweinsteiger, wobei bis zum Anpfiff offen bleibt, ob der Nationalspieler in den 18er-Kader rückt; 20 Männer hat Jupp Heynckes dabei. Schweinsteiger trainiere "seit zwei Tagen wieder beschwerdefrei", meldete der Bayern-Coach zum seit Februar von Sprunggelenks-Blessuren gebremsten Regisseur. Als dringend notwendig werden die Bayern seinen Einsatz kaum ansehen (höchstens, um sich bei klarem Spielstand eine gelbe Karte samt Sperre fürs Rückspiel abzuholen, was ab dem Halbfinale Entlastung brächte?).

"Wir sind mit Sicherheit Favorit auf das Halbfinale", findet jedenfalls Kapitän Philipp Lahm. "Wir kommen sehr selbstbewusst nach Marseille", ergänzt der Trainer. Und sie haben den Stadtführer Ribéry dabei, zu dem Heynckes den Einheimischen eine schlechte Nachricht überbrachte: "Er ist sehr locker und im Moment in einer absoluten Topform."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1319959
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.03.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.