Süddeutsche Zeitung

FC Bayern München II:Der Karrierebegleiter

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Sieben Jahre lang hat Nicolas Feldhahn in der zweiten Mannschaft des FC Bayern anderen beim Großwerden geholfen. Nun will er auch für sich selbst ein neues Kapitel aufschlagen.

Von Christoph Leischwitz

Ungefähr 16 Semester hat Nicolas Feldhahn studiert, ganz genau kann er das nicht mehr sagen wegen der Unterbrechungen. Angefangen mit Jura jedenfalls hat er 2006. Heutzutage braucht es schon eine gute Ausrede dafür, so viel Zeit an der Uni zu verbummeln, aber die hat der 35-Jährige: Er hat nicht nur als Fußballprofi Geld verdient, er hat auch mitgeholfen, anderen den Weg in den Profifußball zu ebnen. Ein ewiger Student, der zugleich andere ausgebildet hat. Jetzt hat Feldhahn ein paar Wochen Zeit für Nachmittage wie diesen: in die Sonne blinzeln, ein Fassbier trinken, über die Unterschiede zwischen Guardiola, Klopp und Ancelotti philosophieren. Ende Juni kommt dann das Ergebnis des Staatsexamens. Jetzt habe er "Bock" aufs neue Leben, auch wenn er noch gar nicht so genau weiß, wie es aussehen wird.

Zwischen den Duellen mit Schalding-Heining und Unterhaching hat er sein Staatsexamen abgelegt

Geschrieben hat er das Staatsexamen Anfang März, quasi zwischen Schalding-Heining und dem Derby mit Unterhaching, jenem Klub, bei dem er einst Profi wurde. Zwischen den zahlreichen Klausuren absolvierte er 441 Zweit-, Dritt- und Viertligaspiele. Und es war alles andere als eine gewöhnliche Karriere: "Dass ich meine längste Station bei Bayern München haben würde, das ist Wahnsinn", sagt er im Rückblick. Heiko Vogel, der ehemalige U23-Coach des Rekordmeisters, holte ihn nach München, obwohl Feldhahn eigentlich gar nicht in eine offensiv orientierte Mannschaft passte. Letztlich gab der Abwehrchef für sieben Spielzeiten den Chefanweiser, fast die Hälfte seiner aktiven Zeit war er also gar nicht damit beschäftigt, selbst Karriere zu machen, sondern anderen zur Karriere zu verhelfen. Das gelang bei Spielern wie Milos Pantovic (VfL Bochum), Niklas Dorsch (FC Augsburg), Angelo Stiller (TSG Hoffenheim) oder auch Jamal Musiala. Auch den größten Tag seiner Karriere, sagt Feldhahn, erlebte er mit der U23, es war also weder der Sieg im Supercup noch die Reise mit dem Champions-League-Kader nach Madrid - alles unbezahlbare Momente, klar. Der emotionalste aber ist fast auf den Tag genau drei Jahre her, als die jungen Bayern nach einem 1:3 gegen Wolfsburg II und einem 0:1-Rückstand im Rückspiel 4:1 gewannen und aufstiegen.

Am vergangenen Freitag war endgültig Schluss. Da wurde er am letzten Spieltag der Regionalliga-Saison 2021/22 bei Nürnberg II für zehn Minuten eingewechselt. Eine Woche zuvor gab es einen emotionalen Abschied von den Heimfans. "Ich hätte jetzt auch noch weiterspielen können", sagt er, es gehe ihm körperlich gut, "die Schnelligkeit geht zurück, klar, aber: Ich war nie der Schnellste, dann kann ich auch nicht viel verlieren", sagt er lachend. Vorher aufzuhören, ging sowieso nicht. Man will seine Karriere weder nach einem coronabedingten Geisterspiel beenden noch mit einem Abstieg, wie er den jungen Bayern vergangenes Jahr widerfuhr. Auch Maximilian Welzmüller, der meist ein paar Meter vor Feldhahn im Mittelfeld spielte, hat sich verabschiedet, er wird allerdings noch in Unterhaching spielen. Es hinterließ übrigens bei den Fans, und dem Vernehmen nach nicht nur bei ihnen, einen faden Nachgeschmack, dass Trainer Martín Demichelis Welzmüller nicht einwechselte zum Abschied.

Wie wichtig ist es, dass ein U23-Kader so genannte Ankerspieler hat? Am Campus des FC Bayern fahren sie zurzeit die Philosophie: So früh wie möglich, so oft wie möglich sollten die Jungen im Männerfußball zum Einsatz kommen. Studien beweisen, dass dies ein großer Erfolgsgarant ist. Klar ist auch: Für jeden alten Mann auf dem Platz bekommt ein Junior weniger Spielpraxis. Aber Spieler wie Feldhahn machen eben auch deutlich, dass es da vielleicht weitere Faktoren gibt, die nicht messbar sind.

Die Aufgaben im Spiel sind klar. "Bei den Geisterspielen hat man das ja wahrscheinlich gehört, dass Welzi und ich sehr lautstark waren. Aber die Trainer geben die Marschroute vor." Kommandos und Körpersprache sind erwartbare Anforderungen. Aber darüber hinaus?

Manchmal empfahl er den Jungen: ,Hör nicht auf alles, was der da draußen sagt'

Feldhahn war mal Coach, mal Freund. Und er konnte auf Basis seiner Erfahrung wählen, welche Rolle in der Situation gerade angemessener ist. Selbst die vielen unterschiedlichen Trainer bei Bayern II waren neu und durchliefen quasi selbst eine Ausbildung. Womöglich wusste einer wie Feldhahn, der so viele Spieler kommen und gehen sah, manchmal besser als die Übungsleiter, wann es an der Zeit war, einen Spieler zu maßregeln oder Druck wegzunehmen. "Jetzt kann ich es ja sagen", sagt Feldhahn grinsend, "da habe ich auch mal zu einem Spieler gesagt: Hör nicht auf alles, was der da draußen sagt. Der kann noch so oft schreien - wir sind die Protagonisten, wir müssen dafür einstehen." Da sei er dann eben "weniger der Trainer, mehr der Mitstreiter" gewesen.

Außerdem wichtig: Zweikampfhärte ins Training zu bringen. "Das ist der große Unterschied zwischen Jugendfußball und Männerfußball", sagt Feldhahn. Und dann ist da noch die Sache mit der Disziplin. "Die ersten zwei Monate waren immer am besten für die Mannschaftskasse", erzählt Feldhahn zum Thema Strafenkatalog. Den jungen Spielern war schnell nicht mehr egal, ob sie nun um 12.58 Uhr oder um 13.02 Uhr zum 13-Uhr-Treffpunkt kamen.

Auch Feldhahn bildet sich weiter. Neben dem Ergebnis des Staatsexamens wartet er aktuell auf die Zusage zum B-Plus-Trainerlehrgang. Gerne würde er beim FC Bayern arbeiten, eine lange Trainerkarriere strebt er aber nicht an. Dass es mit dem Aufstieg zum Karriereende nicht ganz geklappt hat, macht ihn nicht traurig. Einige Mitspieler hätten ihn schon gefragt, ob er denn auch nach einem Aufstieg aufgehört hätte. Ja, versichert er: Die sieben Jahre bei den Bayern seien so verlaufen, wie er sie "nicht besser hätte malen" können.

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