Süddeutsche Zeitung

FC Bayern nach dem Topspiel:Eingeschnürt vom Leipziger Lasso

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Aus dem Stadion von Saskia Aleythe

Diese eine Szene schmerzte Leon Goretzka noch lange. "Ich werde sie heute wahrscheinlich noch ein paar Mal vor Augen haben", sagte der 25-Jährige, da war sie schon fast zwei Stunden alt: Wie der Münchner frei im Strafraum vor Leipzigs Torwart Peter Gulacsi auftauchte, es hätte sein großer Moment sein können; er, der Torschütze im Spitzenspiel. Doch Goretzka entschied sich für die lange Ecke, Gulacsi parierte und ließ die Torträume gnadenlos zerplatzen. "Es tut mir leid für die Mannschaft", sagte Goretzka später, wenn er diese "Großchance" reingemacht hätte, "fährst du mit einem 1:0 nach Hause und die Gesichter sehen ein bisschen fröhlicher aus". Doch richtig unglücklich wirkten seine Kollegen gar nicht nach dem 0:0 gegen RB Leipzig.

Gut, an der Tabelle hatte sich ja auch nichts getan: Der FC Bayern thront weiter an der Spitze, allerdings mit dem wenig polsterhaften Vorsprung von einem Punkt. "Wir versuchen, die Position einfach zu halten, sagte Trainer Hansi Flick, Thomas Müller kramte den treffendsten Satz aus der Schublade für torlose Spiele hervor: "Es war viel drin, es war aber auch gleichzeitig nichts drin."

Bemerkenswerter war der Umstand, dass das Team von Julian Nagelsmann es fertiggebracht hatte, den Münchnern über viele Minuten den Spielfluss zu nehmen. Und das trotz dieser Zahlen: Fast 70 Prozent Ballbesitz konnte der FC Bayern für sich beanspruchen, 737 Pässe standen 316 Zuspielen auf der Leipziger Seite gegenüber - dass die Münchner fürs Angreifen zuständig waren, stand außer Frage. Und doch blieb der Auftritt so in den Köpfen, wie es Thomas Müller beschrieb: "Wir haben es verpasst, aus diesem Spiel unser Spiel zu machen." Aus dieser Perspektive war das 0:0 dann ein Ergebnis, das RB doch besser zu Gesicht stand als dem Rekordmeister.

"Wir sind ein bisschen schlampiger geworden"

"Unsere Position ist nicht schlechter geworden", sagte Torwart Peter Gulacsi nach der Partie; eine Erkenntnis, mit der nicht viele Mannschaften aus München wieder abreisen. Für die Leipziger war der Auftritt zudem ein Aufbäumen gegen den Abwärtstrend der vergangenen Wochen gewesen, nachdem sie gegen Gladbach und Frankfurt Punkte eingebüßt und am Mittwoch aus dem Pokal geflogen waren.

Und Bayern? Die kämpften nach einer starken halben Stunde, in der oft nur noch Abwehrrecke Dayot Upamecano im Weg stand, mit der "Seriosität", wie Flick befand; die eng deckenden Leipziger zogen sich immer wieder wie ein Lasso um den gegnerischen Angriff, in der zweiten Halbzeit irritierten die hoch aufgerückten Außenverteidiger die Bayern. "Dann haben wir Probleme bekommen mit unserem Aufbauspiel und mussten mehr und mehr lange Bälle spielen", sagte Manuel Neuer. Was nicht unbedingt zu seriösen Angriffen führte.

Dass sie auch selbst in der zweiten Halbzeit nicht mehr ganz auf der Höhe waren, gab David Alaba zu, "wir sind ein bisschen schlampiger geworden", sagte der Verteidiger, der ja selber in höchster Not gegen Timo Werner retten musste. Müller machte noch ein anderes Problem aus: "Man hatte das Gefühl, dass ab der 70. Minute keine Mannschaft mehr 'all in' gehen wollte." Lieber ein bisschen sicherer spielen war so die Devise, auch weil das Team von Hansi Flick durchaus vernommen hatte, dass Leipzigs Konterspiel brandgefährlich sein kann.

"Wenn wir zu früh so viel Risiko im Spielaufbau gehen, eröffnet sich zwangsläufig was für Leipzig", sagte Müller, der unter den Augen von Bundestrainer Joachim Löw eine engagierte Partie zeigte. Dass er für die EM im Sommer wieder in den Kader rutschen könnte, schätzte Löw bei Sky als "relativ gering ein". Ein Umstand, mit dem Müller nach eigener Aussage gut leben kann: "Wenn ich ehrlich bin, interessiert mich die Europameisterschaft überhaupt nicht."

Was sie in München derzeit am meisten interessiert, ist freilich der Durchmarsch durch die Liga, für die anstehenden Aufgaben verwies Sportdirektor Hasan Salihamidzic auf die Bedeutung, doch bitte "das Dominante" zurückzugewinnen. Mut machte dabei gegen Leipzig auch die Rückkehr der zwei Dauerverletzten Lucas Hernández und Kingsley Coman. Hernández, der in der 67. Minute eingewechselt wurde, gab sein Comeback nach fast drei Monaten Pause, er verlor keinen einzigen Zweikampf. "Wenn ich sehe, wie er in Zweikämpfe geht, knallt das gut", sagte Salihamidzic. Coman hatte zuletzt Anfang Dezember auf dem Platz gestanden

Und so hinterließ das Spiel mit dem "gerechtesten Ergebnis" (Gulacsi) an diesem Abend auf beiden Seiten positive wie negative Eindrücke; man akzeptierte das 0:0 mehr oder weniger zähneknirschend. Einen Goretzka-Moment hatte an diesem Abend ja auch Timo Werner erlebt: In der 63. Minute vergab er freistehend vor Manuel Neuer.

"In so einem Spiel muss man solche Bälle reinmachen", sagte der 23-Jährige danach und machte noch einen interessanten Schlenker in die Gedankenwelt der zurückliegenden Wochen: "Nach der Winterpause hatten wir als Tabellenführer zu viele Dinge im Kopf. Solche wie man feiert, wenn man Meister wird." Die gute Nachricht: Damit müssen sie sich aktuell erst mal nicht mehr beschäftigen.

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