Süddeutsche Zeitung

Hansi Flick beim FC Bayern:Der Unsichtbare tritt hervor

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Von Carsten Scheele

Es ist ein paar Jährchen her, dass Hans-Dieter Flick, Hansi genannt, als verantwortlicher Trainer an der Seitenlinie stand. Zuletzt vor elf Jahren, als er bei der Nationalelf im EM-Viertelfinale 2008 den gesperrten Bundestrainer Joachim Löw vertrat. Es war ein aufreibendes Spiel im Baseler St. Jakob-Park, auch für Flick. Löw rauchte zur Beruhigung in seiner VIP-Loge, die deutsche Elf gewann 3:2 gegen Portugal, es trafen Schweinsteiger, Klose, Ballack. Torschützen aus längst vergangenen Zeiten.

Ansonsten war Flick - seit seiner Entlassung 2005 als Cheftrainer beim damaligen Regionalligisten TSG 1899 Hoffenheim - stets der Mann im Hintergrund. Medial ein bisschen unsichtbar, weil es ihn nie vor die Kameras drängte, im Stillen aber umso wirkungsvoller. Er war der Co-Trainer, der der DFB-Elf die Ecken und Freistöße beibrachte, ohne die das Team 2014 nicht Weltmeister geworden wäre. Er war der Sportdirektor beim DFB, der emsig an den Strukturen im Verband arbeitete. Er war Geschäftsführer in Hoffenheim, wenn auch nur für acht Monate, ehe er zur Saison 2019/20 beim FC Bayern unterschrieb, wo er schon als Spieler fünf Jahre unter Vertrag stand. Wieder in zweiter Linie, als Co-Trainer unter Niko Kovac. Seine Rolle eben.

Aus diesem selbstgewählten Schatten tritt er nun heraus: Nach Kovacs Entlassung am Sonntagabend soll Flick die Mannschaft übergangsweise ins Champions-League-Gruppenspiel am Mittwoch gegen Piräus führen, sehr wahrscheinlich wird er auch am Samstag beim Schlagerspiel gegen Borussia Dortmund als Chef auf der Bank sitzen.

Und dann? Der Trainermarkt ist aktuell nicht gerade prall gefüllt, sieht man mal von Namen wie Allegri, Rangnick oder Mourinho ab. Alle logischen Kandidaten (Tuchel, ten Hag) stehen woanders unter Vertrag. Sollten die Bayern also nun unter Flick beide Spiele gewinnen, wer kann dann seriös prognostizieren, was in München geschieht?

Rummenigge bezeichnete ihn einst als "große Hilfe für Niko"

Während Kovac in den vergangenen Monaten ständig sein Gesicht in die Kameras hielt (oder halten musste), wirkte Flick fast ausschließlich hintergründig. Der 54-Jährige war eine Art Mediator, führte zahllose Gespräche, kümmerte sich um diejenigen Spieler, die es gerade schwer hatten. Flick hat vor allem bei den 2014-Weltmeistern Manuel Neuer, Jérôme Boateng und Thomas Müller ein gutes Standing. Wenn etwa Boateng wegen seiner Rolle als Reservist Zuspruch benötigte, bekam er ihn durch seinen Ex-National-Co-Trainer. Von Anfang Oktober ist auch ein Bild in Erinnerung, wie Flick, auf der Ersatzbank sitzend, Javi Martínez tröstete, weil dieser gegen Hoffenheim nicht mal eingewechselt wurde.

Das war durchaus im Sinn der Bosse. Als er zu Bayern kann, hatte ihn Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge als "wichtigen Neuzugang" und "große Hilfe für Niko" bezeichnet - gerade wegen Flicks menschlicher Qualitäten, die auch Löw stets sehr wichtig waren. "Die Position passt zu mir", sagte Flick während der USA-Reise der Bayern, "mit jungen Spielern zusammenzuarbeiten, habe ich vermisst." Flick wird branchenweit als Taktikfachmann geschätzt, ist vor allem im Jugendbereich gut vernetzt. Er hätte zu seinem Glück vermutlich nicht noch einmal irgendwo Cheftrainer werden müssen. Jetzt ist er es trotzdem.

Für zumindest zwei Spiele. Oder für mehr? Wer weiß das schon.

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