Süddeutsche Zeitung

Europaspiele:Propagandafest für ein autoritäres Regime

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Aumüller, Minsk/Frankfurt

Das Stadion in Minsk ist geschrumpft über die Jahre. Mehr als 50 000 Zuschauer versammelten sich in den Achtzigerjahren dort, wenn wichtige Spiele des weißrussischen Spitzenklubs Dinamo anstanden. Ein paar Rekonstruktionen und einen aufwendigen Generalumbau später passen noch 22 000 Menschen hinein. Aber dies war für Weißrusslands autoritäres Regime um den Präsidenten Alexander Lukaschenko eine genügend große Kulisse für die Eröffnung seines aktuellen sportlichen Propagandafestes.

Zehn Tage lang steigen in Minsk nun die Europaspiele, ein als Mini- oder Kontinental-Olympia beworbenes Ereignis, bei dem Programm und Teilnehmerfeld zusammengewürfelt erscheinen. In manchen Sportarten wie Tischtennis treten Europas Beste an, weil dieser Wettbewerb zur Olympia-Qualifikation gehört, in anderen nur zweit- und drittklassige Akteure, eine Kernsportart wie Schwimmen fehlt völlig. Rund 4000 Athleten aus 15 Sportarten nehmen teil, darunter eine deutsche Delegation mit 149 Sportlern. Aber es stellt sich immer stärker die Frage, was diese Veranstaltung des Europäischen Olympischen Komitees (EOC) eigentlich soll.

2015 gab es die ersten Europaspiele, nach dem Vorbild vergleichbarer Events auf anderen Kontinenten; bisher zog es das EOC nur in autoritäre und von Menschenrechtlern stark kritisierte Staaten. Für die Premiere wurde Baku in Aserbaidschan ausgewählt, nun ist Minsk an der Reihe. Ursprünglich war eine niederländische Region als Ausrichter vorgesehen, aber diese sträubte sich aufgrund der zu erwartenden Kosten.

Menschenrechtler kritisieren das Regime in Weißrussland

In Ländern wie Weißrussland spielt Geld für solche Projekte kaum eine Rolle. Die Spiele mögen zwar nicht so protzig daherkommen wie die in Baku vor vier Jahren, wo die Investitionen an der Milliardengrenze schrammten. Aber eine genaue Zahl für das Budget nennen lokale Organisatoren und das Europäische Olympische Komitee nicht; eine dreistellige Millionensumme soll es sein.

Weißrusslands Regime macht kein Hehl daraus, was das Motiv für die Austragung ist. Die Veranstaltung soll Werbung machen für das Land und das Image verbessern, wie andere Ereignisse zuvor, etwa die Eishockey-WM 2014 oder die Eiskunstlauf-WM in diesem Jahr. Die Europaspiele seien das wichtigste gesellschaftspolitische Ereignis in der Geschichte des souveränen Weißrussland, also seit 1990 - solche Sätze sagt der Präsident Lukaschenko.

Menschenrechtler kritisieren das Regime seit Langem. Nach ihrer Ansicht mag es in den vergangenen Jahren oberflächliche Polituren gegeben haben, aber die Zustände für oppositionelle Kräfte oder Medien bleiben desaströs. Auch vollstreckt Weißrussland weiter als einziges Land in Europa die Todesstrafe, kurz vor den Europaspielen gab es nach Angaben oppositioneller Gruppen wieder eine Hinrichtung.

Den organisierten Sport scheinen solche Fragen nicht zu kümmern. Kürzlich sagte eine EOC-Sprecherin zur Kritik an den Austragungsorten Aserbaidschan und Weißrussland der Neuen Züricher Zeitung den bemerkenswerten Satz: "Wir sind nicht sicher, ob die Bezeichnung ,autoritäres Regime' adäquat ist. In beiden Ländern gibt es freie Wahlen und geheime Stimmzettel als Basiselemente einer Demokratie." Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gibt kein gutes Bild ab. Bei der Vergabe des Events enthielt er sich, anders als manch skandinavisches Land, das gegen Minsk stimmte. Im vorigen Jahr erklärte DOSB-Präsident Alfons Hörmann vor dem Hintergrund von Journalistenverhaftungen zwar, er halte einen Boykott nicht für ausgeschlossen, "wenn sich die Dinge weiter so entwickeln wie zuletzt offensichtlich passiert". Obwohl sich die Lage seitdem nicht grundsätzlich änderte, war ein Boykott bald kein Thema mehr. DOSB-Vizepräsidentin Uschi Schmitz, in Minsk Chef de Mission, findet eine Teilnahme sogar "alternativlos".

Der Sport sei "der entscheidende Faktor", sagt sie, schließlich gehe es in einigen Sportarten auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio: "Wir können unseren Athleten nicht die Möglichkeiten nehmen, sich dort zu qualifizieren." Zur Frage, ob es im Rahmen der Reise zumindest zu Treffen mit weißrussischen Oppositionellen oder Nichtregierungsorganisationen kommt, sagte Schmitz vor dem Abflug: Bisher sei niemand auf den DOSB zugekommen; wenn der Fall eintrete, werde man das prüfen.

Gibt es noch eine dritte Auflage?

Unabhängig von der Kritik am Austragungsort ist die Zukunft der Europaspiele fraglich. Denn sie konnten bisher kein Profil entwickeln, wirken wie ein Sammelsurium. Schon bei der Premiere in Baku war das Programm merkwürdig gemischt, nun verschärft es sich: Die Zahl der Sportarten (von 20 auf 15) und der Teilnehmer (von rund 6000 auf etwa 4000) wurden reduziert. Sogar von den Minsker Organisatoren kam schon Kritik am EOC.

Zudem gibt es im Kampf um öffentliche Wahrnehmung und Sponsoren starke Konkurrenz durch die so genannten European Championships, die alle vier Jahre die Europameisterschaften wichtiger Sportarten von Leichtathletik bis Turnen bündeln. Im Vorjahr fand dieses Event erstmals in Glasgow und Berlin statt, der Erfolg war groß. Das EOC und DOSB-Vize Schmitz glauben zwar an die Möglichkeit eines Nebeneinanders beider Veranstaltungen - weil sie unterschiedlich seien. Faktisch dürfte das jedoch schwierig werden für die Europaspiele mit ihrem schlechten Image. Für 2023 gilt Krakau als potenzieller Ausrichter. Aber möglicherweise gibt es auch gar keine dritte Auflage mehr.

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SZ vom 22.06.2019
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