Süddeutsche Zeitung

Wales bei der EM:Träumen erlaubt!

Lesezeit: 2 min

Erinnerungen an die EM 2016 flackern auf: Wales ist der K.-o.-Runde auch bei diesem Turnier ganz nah - weil Gareth Bale und seine Mitspieler für ihr Team "über Glasscherben gehen" würden.

Von Tim Brack

Am Ende konnte die walisische Mannschaft doch noch vor ihrem Ziel gestoppt werden. Die türkische Abwehr hatte damit aber nichts zu tun. Beim 2:0-Erfolg der Waliser in Gruppe A hatte sie sich eher als leicht überwindbares Hindernis herausgestellt. Doch nun, nach dem Abpfiff, war an einer kleinen, gewöhnlichen Bande im Stadion in Baku kein Vorbeikommen für die Mannschaft von Trainer Robert Page. Sie trennte die Spieler auf dem Rasen erbarmungslos von den rund 400 walisischen Auswärtsfahrern im Block. Dazwischen klaffte eine Lücke, die Leichtathletik-Anlage des Stadions.

So wurde auf Distanz gefeiert. Corona-konform. Aber die Emotionen schwappten in diesem für den walisischen Fußball so bedeutenden Moment schnell über. Wales ist dem EM-Achtelfinale ganz nah! Wer hätte darauf vor Turnierbeginn schon Wetten abgeschlossen? Zwangsläufig flackern nun Erinnerungen an Paris, Lille und Lyon auf. In den französischen Städten war Wales bei der EM 2016, berauscht von der eigenen Courage, bis ins Halbfinale gestürmt. "Das wird neben den Heldentaten der Euro 2016 als eine der großen Nächte des walisischen Fußballs in die Geschichte eingehen", jubelte das englische Boulevardblatt Sun.

Ist es unverschämt, von einer Wiederholung der Sensation zu träumen? Zumindest in der Theorie ist sogar der Gruppensieg möglich, dazu müssten am Sonntag die furiosen Italiener besiegt werden. Ein bisschen kleiner muss wohl geträumt werden. Aber selbst bei einer Niederlage ist der zweite Platz und ein Weiterkommen wahrscheinlich, weil Wales den Schweizern vor dem abschließenden Spieltag drei Punkte voraus hat - und die um fünf Treffer bessere Torbilanz. Ein Remis reicht sowieso.

Bale spiegelt den Charakter der walisischen Mannschaft wider

Ein Anker für diese Träume war auch gegen die Türkei Gareth Bale. Zwar drosch der passionierte Golfer den Ball beim Strafstoß so hoch über das Tor, als hätte er einen Abschlag bei seinem Lieblingssport geübt. Doch er bereitete auch die beiden Tore durch Aaron Ramsey und Connor Roberts vor. Die spanische Presse, die Bale als königlichen Bankdrücker kennt, verneigte sich vor dem 31-Jährigen. Die As sah einen "neugeborenen" Bale.

Der Linksfuß ist Hauptdarsteller der walisischen Elf, er ist aber auch ein Symbol für deren Wesen. Nicht, was die fußballerischen Qualitäten anbelangt. Da überflügelt der Linksfuß viele seiner Teamkollegen. Die Waliser setzen auf eine vergleichsweise simple Spielidee, füllen diese aber konsequent mit Herz. Und in dieser Hinsicht ist Bale der beste Repräsentant - sobald er das Nationaltrikot überstreift, steht da ein energiegeladener Anführer. "Er ist der Leuchtturm in der Mannschaft der Drachen. Er trägt nicht nur die Kapitänsbinde, er füllt dieses Amt mit Ehre aus - auf und neben dem Platz", schrieb Estadio Deportivo treffend.

Die Verwandlung reklamiert Bale nicht für sich allein, auch seine Mitspieler übertreffen ihre Leistungen auf Klub-Ebene. "Woran liegt das? Ist es das Wappen auf ihrer Brust, das sie dazu bringt, sich zu steigern?", fragte sich Trainer Page. "Das muss es sein. Es liegt daran, für Wales zu spielen. Es ist mächtig und jeder würde über Glasscherben gehen, um in diese Mannschaft zu kommen."

Kein Wunder also, dass sich der Trainer attestierte, der "glücklichste Waliser" zu sein. Ein Prädikat, das wohl auch so mancher Fan für sich reklamieren würde.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5325235
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.