Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalmannschaft:Die Tücke des dritten Spiels

Lesezeit: 2 min

Noch nie konnte sich Bundestrainer Löw vor der letzten Vorrundenpartie eines Turniers entspannt zurücklehnen - die Erfahrungen der WM 2018 dienen als Warnung vor dem Ungarn-Spiel.

Von Christof Kneer, München

Von einer Grünfärbung war bei Michael Ballack nichts zu bemerken, als er diesen Freistoß schoss. Wobei, vielleicht war es auch nur ein etwas matterer Farbton und nicht ganz so grün wie beim Original, dem unglaublichen Hulk. Aber nicht mal der unglaubliche Hulk dürfte im Comic so viel Zorn und Aggression im Gesicht gehabt haben wie der reale Ballack, als er den Österreichern diesen Schuss zum 1:0-Siegtor ins Tor jagte. Ballack war geladen, alles musste raus. In der Nationalmannschaft herrschten im Sommer 2008 Aufruhr und Revolution, die motzenden Bosse Ballack und Frings wurden von den jüngeren Spielern wegen ihrer gebieterischen Art abgelehnt. Aber Ballack hatte es allen noch mal gezeigt, nur er war der Führungsspieler im Team, nur ihm und seinem Hulk-Tor hatte es die DFB-Elf zu verdanken, dass sie die Vorrunde dieser EM überstand. Ein paar Wochen später stand sie im Finale.

Mit dritten Spielen kennt Joachim Löw sich aus. Die EM 2008 war sein erstes Turnier als Chefcoach, und seit damals hat er sich noch nie in einer letzten Vorrundenpartie entspannt zurücklehnen können, um heimlich eine zu rauchen. Bei der WM 2010 brauchte es zum Vorrunden-Ausklang einen Gewaltschuss von Mesut Özil gegen Ghana, bei der EM 2012 blieb ein Zupfer von Holger Badstuber gegen Dänemarks Bendtner ungeahndet. Ein Elfmeter hätte Deutschland in Rückstand bringen und zur Heimreise zwingen können. Dasselbe Muster offenbarten auch die Turniere 2014 und 2016: Auch da waren im dritten Gruppenspiel Tore von Thomas Müller gegen die USA und Mario Gomez gegen Nordirland dringend nötig, um die Schlampereien der zweiten Gruppenspiele auszugleichen.

Der dritte Gegner Südkorea wurde bei der WM 2018 nur mäßig ernst genommen

Erst beim letzten Turnier hat das Muster gewechselt, auf eine Art, die dem deutschen Tross auch jetzt, vor dem letzten Gruppenspiel gegen Ungarn, als Warnung dient. Bei der WM 2018 gelang den Deutschen nach einer 0:1-Auftaktniederlage im zweiten Spiel ein Sieg gegen Schweden, der für Erleichterung und so viel Trotz sorgte, dass der Siegtorschütze Toni Kroos zumindest wie eine vorpommersche Light-Version des unglaublichen Hulk wirkte.

Kommt einem das nicht bekannt vor? Der dritte Gegner Südkorea wurde damals nur mäßig ernst genommen, was sollten die schon ausrichten gegen eine urknallartig befreite DFB-Elf, die jetzt ja erst richtig drin war im Turnier? Das Ende ist Legende: Deutschland blamierte sich beim Spiel in Kasan unsterblich und flog nach Hause.

Joachim Löw und Oliver Bierhoff werden die Katastrophe von Kasan nun nutzen, um die Sinne vor dem dritten Spiel gegen Ungarn zu schärfen. Und dass sie keine Schauermärchen erzählen, können Spieler wie Manuel Neuer, Toni Kroos, Thomas Müller und Mats Hummels bestätigen. Sie waren dabei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5329660
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.