Süddeutsche Zeitung

EM 2008: Russland:Eine Schraube zu viel

Lesezeit: 2 min

Am 1:4 seiner Russen gegen Spanien trägt Trainer Guus Hiddink zumindest eine Teilschuld. Die Besetzung der Abwehr war zu riskant.

Johannes Aumüller

Guus Hiddink gilt als Reformertyp. Und so, wie er Australien ins Achtel- und Südkorea ins Halbfinale einer Weltmeisterschaft reformierte, so sollte er auch den russischen Fußball modernisieren und wenn möglich gar ins Finale führen. Zu einem Großteil ist ihm dies gelungen. In seiner knapp zweihährigen Amstszeit als Trainer der Sbornaja hat Hiddink die russische Nationalmannschaft komplett umgekrempelt, alte Spieler aus der Mannschaft geworfen, viele junge eingebaut und der Elf ein viel schnelleres Direktspiel eingeimpft.

Doch an einer Stelle hat der Reformer Hiddink wohl eine Schraube zu viel gedreht: bei der Besetzung der Abwehr. Beim 1:4 gegen Spanien bildeten Roman Schirokow und Denis Kolodin das Innenverteidigergespann der russischen Elf - eine riskante Wahl. Denn sowohl Schirokow (Zenit St. Petersburg) als auch Kolodin (Lokomotive Moskau) sind international noch nicht besonders erfahren, der eine hat gerade mal zwölf, der andere sogar nur vier Länderspiele absolviert.

Ein neues Trio

Gemeinsam haben sie lediglich ein Mal für die Nationalmannschaft verteidigt, entsprechend wenig sind sie eingespielt. Außerdem sind sie keine waschechten Innenverteteidger, zumindest Phasen ihrer Karriere war das defensive Mittelfeld ihre bevorzugte Position. Während im Spiel nach vorne Syrjanow, Semschow & Co. phasenweise mit den Spaniern mithalten konnten, war die Abwehr mit dem spanischen Niveau offenkundig überfordert: "Die Spanier sind ein bisschen von einem anderen Planeten", musste Schirokow nach dem Spiel bekennen. Dabei hatten die so außerirdisch gar nicht gespielt, sondern einfach nur in manchen Situationen schnell und direkt.

Auf den anderen Defensivpositionen sah es nicht viel besser aus. Links hinten in der Viererkette musste Jurij Schirkow ran, von Haus aus eher ein offensiver Mitspieler, aber mangels Alternativen in der Abwehr und wegen eines Überangebots im Mittelfeld von Hiddink etwas weiter zurückbeordert. Und als Nummer sechs vor der Abwehr agierte mit Kapitän Sergej Semak zwar ein erfahrener Recke; doch erstens spielt er im Verein etwas weiter vorne, zweitens ist er erst kurz vor der EM in die Nationalelf zurückgekehrt und drittens ist deswegen die Abstimmung mit Schirokow/Kolodin zwangsläufig nicht optimal. In Deutschland bilden Mertesacker, Metzelder und Frings ein in vielen Spielen erprobtes Defensiv-Dreieck, bei den Russen hingegen trat hier ein neu zusammengestelltes Trio an - das kann kaum gut gehen.

Nun sind Probleme in der russischen Abwehr nichts neues. In den vergangenen Jahren hing die Qualität der Defensive immer hinter den Fähigkeiten der Offensive zurück. Nicht umsonst bemühte sich der russische Verband, den in der ehemaligen Sowjetunion geborenen Nürnberger Verteidiger Andreas Wolf einzubürgern.

Noch über weite Strecken der Qualifikation waren neben dem gesetzten Rechtsverteidiger Alexander Anjukow die ZSKA-Moskau-Spieler Sergej Ignaschewitsch sowie die Zwillingsbrüder Alexej und Wassilij Beresuzkij Hiddinks erste Wahl. Sie sind zwar keine überragenden Abwehrspieler, aber haben sich auf dem internationalen Niveau solide gezeigt und sind vor allem gut aufeinander eingestellt. Ignaschewitsch ist dabei so etwas wie der russische Metzelder: lange verletzt, zuletzt ohne Stammplatz im Verein und entsprechend ohen Spielpraxis.

Doch während Löw auf seinen Metzelder vertraut, setzte Hiddink auf seine unerfahrenen Kräfte - und riskierte damit zu viel. "Wir haben naive Fehler gemacht", schimpfte Hiddink nach dem Spiel. Mit der Zusammenstellung der Abwehr hat aber auch er selbst einen naiven Fehler gemacht.

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