Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:Verband auf Schlingerkurs

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Der deutsche Verband vertagt die Beilegung des scharfen Streits zwischen dem Bundestrainer Erik Bouwman und der Läuferin Claudia Pechstein auf das Saisonende.

Von Barbara Klimke, Hamar/München

Kurz vor dem Saisonende hat Joel Dufter seine Höchstgeschwindigkeit erreicht. In Hamar, in einer der größten Eisschnelllaufhallen der Welt, flitzte er bei der WM der Sprinter auf Platz acht im Schlussklassement: Im ersten 1000-Meter-Rennen am Freitag war der Inzeller geradezu über Eis geflogen und als Zweitschnellster in 1:08,65 Minuten erstmals bei einem Einzelstart vor internationalem Publikum aufs Siegertreppchen gebeten worden. Er sei zufrieden mit "den vier harten Rennen an zwei Tagen", sagte Dufter, 24, zumal sich sein Kollege Nico Ihle als Zehnter ebenfalls in den Top Ten wiederfand. Aus sportlicher Sicht hatte sich die Reise nach Norwegen also gelohnt.

Ohnehin liest sich die Bilanz der Kufenläufer in diesem Winter nach der WM-Bronzemedaille des Langstrecklers Patrick Beckert über 10 000 Meter vor zwei Wochen in Salt Lake City besser, als zunächst befürchtet worden war. Denn weiterhin gilt das Verdikt von Bundestrainer Erik Bouwman, der Deutschland im Eisschnelllauf im Range eines "Entwicklungslandes" sieht. Jahrelang sei die Nachwuchsförderung vernachlässigt worden, hat der niederländische Coach Ende voriger Woche in einem Statement wiederholt, das die Bild-Zeitung veröffentlichte. Zu lange, heißt es da, hätten die Verantwortlichen der Deutschen Eisschnelllauf Gemeinschaft (DESG) auf "die alte Garde gesetzt", weil diese noch Medaillen gewann.

Bouwmans Analyse wäre vermutlich auf noch breitere öffentliche Zustimmung gestoßen, hätte er sie nicht mit einer persönlichen Abrechnung mit Claudia Pechstein, 48, verknüpft. Die fünfmalige Olympiasiegerin, schreibt Bouwman, versuche mit der "Maske einer boshaften doppelten Agenda" eigene Interessen zu sichern, namentlich die Kandidatur ihres Lebensgefährten Matthias Große für das vakante Präsidentenamt in der DESG zu befördern. Ein "Witz", wie Bouwman findet.

Von einer öffentlichen Kommentierung dieses Brandbriefes sahen die Verantwortlichen des Verbandes am Wochenende ausdrücklich ab. "Herr Bouwman hat in Hamar aktuell Athleten zu betreuen", erklärte Vizepräsident Uwe Rietzke, eines der beiden verbliebenen DESG-Präsidiumsmitglieder. Mit den beiden Parteien werde man sich deshalb nach der WM besprechen. Auch Pechstein hatte im November bereits einen scharfen verbalen Rundumschlag auf Facebook veröffentlicht und explizit den Sportdirektor der "vorsätzlichen Schädigung" ihres "sportlichen Weges" bezichtigt. Das Aufflammen des Streits findet Rietzke bedauerlich, er hofft, dass sich die Lage bei der Außerordentliche Verbandsversammlung beruhigt, zu der die DESG am 28. März in Erfurt geladen hat. Dort steht die kommissarische Nachwahl der vakanten Präsidiumsämter an, ehe im Herbst Neuwahlen folgen.

Nicht nur Rietzke sorgt sich um den Ruf eines Verbandes, der laut Bundestrainer Bouwman einer "Schlangengrube" ähnelt, wie er der Zeitung De Telegraaf sagte. Das Zukunftsforum "DESG gemeinsam retten", auf Initiative des Athletensprechers Moritz Geisreiter gegründet, ist ebenfalls bemüht, der "wachsenden Polarisierung der Beteiligten innerhalb der DESG" entgegenzuwirken. Das Gremium, dem auch die finanzielle Sicherheit des Verbandes ein Anliegen ist, hatte Politiker, das Bundesinnenministerium und den Deutschen Olympischen Sportbund zum Krisengespräch geladen. Auf Erneuerung aus eigener Kraft allein wollte es nicht vertrauen. "Die Reaktionen aus der Politik waren sehr gut, die Reaktionen aus dem Ministerium hilfreich", sagte Rainer Erdmann, Sprecher des Forums: "Und für das Gespräch mit dem DOSB gibt es nun auch einen Termin."

Die Weichen für die Zukunft werden also erst nach der Saison gestellt. Claudia Pechstein ist von der Allround-WM aus Hamar nach Platz 19 abgereist. Das Finale über ihre Spezialstrecke 5000 Meter hatte sie verpasst.

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SZ vom 02.03.2020
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