Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:An zwei Tausendstel gescheitert

Lesezeit: 3 min

Bei der Einzelstrecken-WM in Inzell schrammt Patrick Beckert über zehn Kilometer knapp an Bronze vorbei.

Von Joachim Mölter, Inzell

Patrick Beckert sah das Unheil kommen, aber er saß machtlos auf seinem Bänkchen und konnte nichts mehr dagegen tun, nur noch hoffen. Der Eisschnellläufer aus Erfurt hatte beim 10000-Meter-Rennen der Einzelstrecken-WM in Inzell 12:57,40 Minuten vorgelegt, "ein Riesenergebnis, eine Riesenzeit", wie er später befand. Er lag damit auf dem zweiten Rang hinter dem Niederländer Jorrit Bergsma (12:52,92), als sich an diesem späten Samstagnachmittag das letzte Paar auf den Weg machte, der Mitfavorit Patrick Roest aus den Niederlanden und der Russe Danila Semerikow. Und je näher die beiden dem Ziel der 25-Runden-Distanz kamen, desto mehr fürchtete Beckert um seine erhoffte Medaille. Als Eisschnellläufer kennt man seine Gegner ja, man kann ihre Form einschätzen, ihre Zwischenzeiten hochrechnen, und Beckert kalkulierte, dass es knapp werden würde. Aber er ahnte nicht, wie knapp.

Roest kam nach 12:53,43 Minuten an und sicherte sich damit die Silbermedaille, Semerikow schleppte sich mit letzter Kraft ins Ziel, bei ihm leuchteten zunächst die gleichen Ziffern auf wie zuvor bei Beckert: 12:57,40. Beim genauen Hinschauen trennten die beiden Läufer dann doch zwei Tausendstelsekunden, für den Russen wurden 12:57,400 Minuten angezeigt, für den Deutschen 12:57,402 - Semerikow war eine Kufenspitze früher über der Linie, wie das virtuell übereinandergelegte Zielfoto zeigte. "Das ist ganz bitter", sagte Beckert, der bei den WMs 2015 und 2017 jeweils Dritter geworden war auf der längsten Distanz der Eisschnellläufer.

"Zwei Tausendstel über zehn Kilometer - keine Ahnung, was ich da sagen soll", rätselte der 28-Jährige hernach, allerdings nur kurz. "Da braucht man sich keine Gedanken machen, wo man die hat liegenlassen", fand er schließlich: "Die verliert man nirgendwo, und die gewinnt man nirgendwo - wo liegen denn da zwei Tausendstel rum auf diesen zehn Kilometern?" Sein Resümee: "Dumm gelaufen, Pech gehabt."

Pechstein läuft dieselbe Zeit wie vor acht Jahren, diesmal reicht es nur für Platz sieben

Das galt im Grunde für die ganze Mannschaft der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) bei dieser Heim-WM, die am Sonntag ohne einen einzigen Medaillengewinn zu Ende zu gehen drohte. Seit 1996 die Titelkämpfe auf den Einzelstrecken eingeführt wurden, ist das erst einmal vorgekommen, 2016 in Russland. Vor zwei Jahren schienen Claudia Pechstein (Silber über 5000 Meter), Nico Ihle (Silber über 500 Meter) und Patrick Beckert (Bronze über 10000 Meter) die DESG rehabilitiert zu haben, aber alle Medaillengewinner von Pyeongchang 2017 gingen diesmal leer aus - und neue Kandidaten sind nicht in Sicht.

Pechstein lieferte am Samstag auf ihrer Lieblingsstrecke 5000 Meter exakt die gleiche Zeit ab wie vor acht Jahren an gleicher Stelle, 7:00,90 Minuten - eine bemerkenswerte Duplizität der Ereignisse, zumal sich die Athletin mit ihren 46 Jahren mittlerweile in einem für Leistungssportler weit fortgeschrittenen Alter befindet, in dem die Fähigkeiten eher nachlassen. "Eine beeindruckende Leistung", bescheinigte ihr dann auch Alfons Hörmann, der anwesende Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Aber was 2011 noch zu Bronze reichte, war diesmal nur noch gut genug für Platz sieben. Nico Ihle wiederum fiel über 500 Meter auf Platz elf zurück und wurde über 1000 Meter Achter. Gemeinsam mit seinem Bruder Denny und dem Inzeller Joel Dufter hatte der 33-Jährige im Teamsprint am Donnerstag einen weiteren vierten Platz in die DESG-Bilanz eingebracht; Beckert hatte sich da mit Rang sechs über 5000 Meter für seine Spezialstrecke warmgelaufen. Mehr als diese fünf Top-Ten-Platzierungen gab es vor dem Schlusstag nicht für die DESG-Auswahl.

Die deutschen Eisschnellläufer sind also immer noch am gleichen Tiefpunkt wie bei Olympia 2018 in Südkorea, den zweiten Winterspielen nacheinander ohne Medaillengewinn. Aber sie machen sich immerhin an Aufräum- und Aufbauarbeiten, nachdem Sportdirektor Robert Bartko und Bundestrainer Jan van Veen ihre Sachen nach dem Olympia-Debakel hingeworfen haben. Der neue Sportdirektor Matthias Kulik, 34, ist erst seit drei Monaten im Amt, der Verband sucht noch einen neuen Cheftrainer, man kann diesen Winter durchaus als Übergangsjahr deklarieren.

Kulik macht sich keine Illusionen, dass es ein langer Weg wird, bis die deutschen Eisschnellläufer wieder an der Weltspitze angelangt sind. Das Nachwuchsprogramm ist eher im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele 2026 und 2030 angelegt: "Für 2022 rechnen wir mit denen, die jetzt auch die Leistungsträger sind", sagt Kulik. Und die sind schnell aufgezählt, dafür braucht man nicht einmal alle Finger einer Hand: Pechstein, Ihle, Beckert. Da kann man das nächste Olympia-Unheil schon jetzt kommen sehen.

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SZ vom 10.02.2019
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