Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlaufen bei Olympia:Platzfehler

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Der Japaner Yuzuru Hanyu wollte in Peking zum dritten Mal in Folge Eiskunstlauf-Gold gewinnen. Doch dann kam ihm ein Loch im Eis dazwischen.

Von Barbara Klimke, Peking

Von Gillis Emanuel Grafström ist bekannt, dass er die eingesprungene Sitzpirouette erfand. Zudem verlieh er der Grafström-Pirouette seinen Namen, als er auf die Idee verfiel, einmal zu versuchen, auf der hinteren Außenkante der Kufe zu drehen. Er galt als fabelhafter Läufer seiner Zeit. Der Schwede, der im Hauptberuf in Berlin als Architekt arbeitete, wäre allerdings vermutlich etwas verdutzt, wenn er die heutige Generation von Kufenkünstlern sähe: Leute wie den Japaner Yuzuru Hanyu, die locker einen Vierfach-Toeloop samt angehängtem Dreifach-Toeloop springen. Und dennoch hat Grafström, Jahrgang 1893, allen jungen Hüpfern eines voraus: Er war dreimal Olympiasieger, 1920 in Antwerpen, 1924 in Chamonix und 1928 in St. Moritz. Beinahe hätte er es sogar noch einmal geschafft, aber weil er 1928 in Lake Placid mit einem Fotografen zusammenstieß, hat er es nur zu Silber gebracht.

Wie es aussieht, wird Gillis Grafström auch ein Jahrhundert später nicht vom Sockel gestoßen: Denn Hanyu, 27, hat womöglich alle Chancen schon verspielt. Als Doppelolympiasieger flog er von Sendai aus übers japanische Meer, um bei den Winterspielen - nach Sotschi 2014 und Pyeongchang 2018 - noch einmal zu triumphieren. Dann kam ihm zwar kein Fotograf in Quere, aber ein kleines Loch im Eis. Ein Platzfehler, wie man im Fußball sagen würde.

Hanyu ist deshalb in der Kurzkür beim Salchow schräg abgehoben und hat statt mehrerer Drehungen in der Luft nur eine vollbracht. Dass er anschließend seine Bilderbuch-Kombination und den Dreifachaxel einwandfrei zur Landung brachte, hat den Absturz auf Rang acht (95,15 Punkte) nicht verhindern können. Vor ihm rangieren nun unter anderem seine beiden jüngeren Teamkollegen, Yuma Kagiyama (108,12) und Shoma Uno (105,90). Sowie der Champion der vergangenen drei Weltmeisterschaften, der US-Amerikaner Nathan Chen, der mit einem guten Polster von 113,97 Punkten in Führung liegt.

Hanyu hatte sich im November an den Bändern im Knöchel verletzt, war rechtzeitig wieder fit geworden und nach dem kraftvollen Absprung, dem ein mickriges Hüpferlein folgte, sichtlich mitgenommen. "Ich bin erschüttert", sagte er, "ich habe etwas im Eis gespürt, es war sicher ein unglückliches Missgeschick." Nun setzt er alles auf den Donnerstag, wenn die Kür für die besten Solisten der Welt ansteht: "Eiskunstlaufen besteht immer aus zwei Programmen", erklärte er entschlossen. Vermutlich müsste er dann tatsächlich den mehrfach angekündigten Vierfachaxel zeigen - eine Weltneuheit! -, um an Nathan Chen noch vorbeizufliegen.

Chen war unterdessen so entzückt über seine blendende Leistung, dass er eine Jubelregung zeigte - "sonst nicht mein Stil", sagte er fast entschuldigend. Sicher aber kann auch er sich noch nicht fühlen, denn auf Glatteis ist alles möglich: Chen selbst rutschte 2018 in Pyeongchang nach einem Fehlerprogramm auf Rang 17 zurück - nur um mit der besten Olympiakür noch auf Platz fünf nach vorn zu schlittern. Und Hanyu? Wird auf den Vierfachaxel hoffen. Womit er sich ein Urheberrecht sichert - wie Gilles Grafström, der König der Pirouette.

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