Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf:Limit beim Drill

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Im Eiskunstlauf wird das Mindestalter für Athleten und Athletinnen angehoben. Es ist die richtige Entscheidung - aber keine, für die sich der Weltverband ISU feiern lassen könnte: Zu lange hat er das Problem vor sich hergeschoben.

Kommentar von Barbara Klimke, München

Der Schaden ist nicht wiedergutzumachen. Weder im Falle von Kamila Walijewa, die im Februar bei der Olympiakür in Peking nervlich zerrüttet, weinend und vernichtend geschlagen vor den bestürzten Blicken der Weltöffentlichkeit aus der Eishalle floh. Noch bei den anderen Eislaufkindern, die, früh auf höchste Drehzahl getrimmt, ihre Laufbahn nach ein paar Wintern im Scheinwerferlicht vorzeitig beenden, an Körper oder Seele verletzt. Für sie alle kommt die Anhebung des Wettkampfmindestalters von 15 auf 17 Jahre zu spät.

Es sei eine "moralische Pflicht", jungen Athleten genügend Zeit zu geben, ihren Sport so zu erlernen, dass sie daran nicht zerbrechen, rief Jane Moran, die Chefin der Medizinischen Kommission des Eislauf-Weltverbands (ISU), am Dienstag den Delegierten in einem flammenden Appell zu. Der Kongress ist der Stimme der Vernunft diesmal mit überwältigender Mehrheit gefolgt.

Es war die einzig richtige Entscheidung - aber keine, für die sich die ISU feiern lassen könnte. Zu lange hat sie das Problem, nicht zuletzt unter Einfluss des mächtigen russischen Verbandes, aufgeschoben oder kleingeredet. Schon 2018 hatten die Niederlande vergeblich einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Es bedurfte eines Dopingfalls der perfidesten Art, der Verabreichung des verbotenen Herzmedikaments Trimetazidin an die minderjährige, damals 15-jährige Kamila Walijewa, der bei den Winterspielen verspätet bekannt wurde, um zu zeigen, was bisweilen hinter der Kunst der Kufenkinder steht: menschenverachtender Drill, eine Groteske in Tüll.

Ob ein Mindestalter von 17 als alleinige Maßnahme ausreicht, wird sich zeigen müssen

Winzige Persönchen mit Eisenschienen an den Füßen werden angetrieben, schwierigste Mehrfachrotationen in der Luft zu vollführen. Sie spindeln besser um die eigene Achse, weil sie kleiner und leichter sind. Die ISU jedoch versäumte es, die Regeln so zu ändern, das eine Wettbewerbsverzerrung unterblieb: Anstatt diesen physikalischen Vorteil durch das Punktesystem auszugleichen, wurden die phänomenalen Vierfachsprünge, zu denen die Jüngeren fähig sind, besonders prämiert. So war es möglich, dass die Frauenkonkurrenz zuletzt zum Kindersport mutierte.

Ob ein Mindestalter von 17 als alleinige Maßnahme ausreicht, die Kinderarbeit auf dem Eis zu beenden, wird sich zeigen müssen. Fest steht, dass geraume Zeit vergehen wird, bis ein Wandel sichtbar werden kann. Zum einen wird die Eintrittsschwelle für Wettkämpfe bei Senioren nur schrittweise gehoben; in der Saison 2022/23 bleibt noch alles beim Alten, 2023/24 sollen dann zunächst die 16-Jährigen antreten. Norwegen hatte vorgeschlagen, nur volljährige Athleten starten zu lassen, zog den Antrag aber vor der Abstimmung zurück.

Zum anderen wird ein Kulturwandel nötig sein, nicht nur in den Talentschmieden des Eiskunstlaufs. Nach dem Drama um Kamila Walijewa in Peking drängte das Internationale Olympische Komitee die Fachverbände, über ein Mindestalter ihrer Athleten und Athletinnen nachzudenken. Beim olympischen Skateboard-Wettkampf in Tokio war die Siegerin 13 Jahre alt.

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