Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf:Dompteurin des Feuerdrachens

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In Oberstdorf gewinnt die Eiskunstläuferin Nicole Schott ihren fünften deutschen Meistertitel. Sie hat sich mittlerweile internationales Standing in der bunten Welt des Eiskunstlaufs erworben.

Von Barbara Klimke, Oberstdorf

Bei den Trommeln war Nicole Schott anfangs skeptisch. Ein asiatisch angehauchtes Programm hatte ihr vorgeschwebt, etwas Fernöstliches, Flirrendes, zu dem sie zur Abwechslung einmal wie eine Geisha übers Eis schweben konnte. Und nun? Hämmerten dumpfe, dunkle Stakkato-Schläge aus den Boxen, die rhythmisch, immer wilder werdend, auf das Finale der Kür zu jagten. Als Nicole Schott die Musik das erste Mal mit ihrem Eiskunstlauf-Trainerteam hörte, war ein Blitzanruf bei der Schneiderin fällig: "Wir müssen die Pläne ändern!", rief sie ins Telefon. Sie hatte zunächst Pastellfarben für ihr Kostüm ausgesucht: "Zartes Rosa mit Grün, eher kirschblütenartig. Das passte überhaupt nicht mehr." Jetzt ist das Kleid rot, gold und dominant, wie sie findet. Und sie selbst hat sich in die tanzende Dompteurin eines feuerspeienden chinesischen Drachens verwandelt.

Tatsächlich ist die Vorstellung Nicole Schotts zu einem Medley aus "Kung Fu Panda 3" und "Crouching Tiger Hidden Dragon" ein kleines Meisterwerk geworden. Der Weltverband ISU hat es prompt in die Kandidatenliste der im März erstmals zu vergebenen ISU Skating Awards aufgenommen. Und zwar in der Kategorie "Unterhaltsamstes Programm". Zwar ist so ein Publikumspreis, bei dem die eislaufinteressierte Öffentlichkeit online über ihre Präferenzen abstimmen darf, nicht gleichzusetzten mit sportlichen Meriten. Aber dass Nicole Schott überhaupt zu den Nominierten dieses "Eislauf-Oscars" zählt, wie ihr Trainer Michael Huth die Auszeichnung scherzhaft nennt, zeigt für den Coach eben auch: Sie hat bei den Preisrichtern und bei der internationalen Konkurrenz inzwischen auf sich aufmerksam gemacht.

Dass Nicole Schott in dieser Woche bei der deutschen Meisterschaft in Oberstdorf auch einen echten Titel entgegennehmen durfte, samt der harten Währung für Athleten, der Medaille, stand von vornherein fast außer Frage. Auch sie selbst hat das nationale Championat vor der Europameisterschaft in drei Wochen in Graz (20. bis 26. Januar) nur als einen Testlauf gesehen. Das wollte sie nicht als Respektlosigkeit gegenüber den Rivalinnen verstanden wissen, wie sie versicherte. Aber erstens hatte sie sich schon durch die bisherigen Saisonergebnisse für die EM qualifiziert. Und außerdem war sie mit ihren 23 Jahren die Älteste und mit dem nunmehr fünften Meistertitel auch die mit Abstand Erfahrenste im Bewerberfeld. Die zweitplatzierte Aya Hatakawa vom ESC Oberstdorf ist erst 15 Jahre alt und war Anfang Dezember auch bei den Juniorenmeisterschaften auf den zweiten Platz gelaufen.

Schott entwickelt ihr Kontrastprogramm zum Hüpfwettbewerb der russischen Eislaufwunderkinder

Und doch hat Nicole Schott das Publikum in diesem Jahr in den Bann geschlagen wie selten zuvor in all den Jahren. Von Wettkampf zu Wettkampf vertiefte sich der Eindruck, dass die Dompteurin des Feuerdrachens sich ihrer künstlerischen und athletischen Stärken nun bewusst geworden ist. "Naja, ich werde ja auch erwachsener", sagte sie lachend. Fast täglich gebe es für sie im Training Spannendes zu entdecken, das sie neben den Sprüngen an ihrem Kufensport fasziniert: neue Schritte, neue Tempi, höherer Körpereinsatz bei ungewohnten Bewegungsmustern. Eiskunstlauf, so wie ihn Nicole Schott versteht, muss eben ein bisschen mehr sein als Toeloop, Rittberger, Salchow und Axel samt der vorschriftsmäßigen Landung auf einer Kufe.

Gerade bei den Sprüngen hat sie zu einer bemerkenswerten Stabilität und Konstanz gefunden. Aber im Grunde ist Nicole Schott dabei, ihr persönliches Kontrastprogramm zum Hüpfwettbewerb der russischen Eislaufwunderkinder zu entwickeln. Denn sämtliche Grand-Prix-Wettbewerbe dieses Winters hat ein phänomenales Springerinnen-Trio aus Moskau für sich entschieden: Alexandra Trussowa, 15, ist die erste weibliche Läuferin, die der Welt gleich drei unterschiedliche Vierfache-Sprünge vorführte (Lutz, Toeloop, Flip) neu vorführte. Bis dahin allesamt reine Männersprünge. Anna Schtscherbakowa, 15, bringt den tückischen Vierfach-Lutz ebenfalls zur Serienreife. Aljona Kostornaja, 16, die Dritte im Bunde, hält mit dem seltenen Dreifach-Axel dagegen. Gemeinsam ist dieses junge Moskauer Kollektiv im Sommer von den Junioren zu den Senioren gewechselt und hat dann gnadenlos sogar Olympiasiegerin und Weltmeisterin Alina Sagitowa, auch erst 17, aus der Hierarchie gedrängt. Sagitowa beherrscht keine der Vierfach-Kapriolen - so wenig wie der Rest der internationalen Konkurrenz.

Nicole Schott hat große Anerkennung für die junge Avantgarde, aber sie weiß auch, dass sie aus biologischen Gründen da nicht mithalten kann: So winzig, so schmal wie vor der Pubertät ist sie nun einmal nicht mehr. Dass die Läuferinnen aus Russland auch bei der Europameisterschaft die Medaillen unter sich verteilen werden, bezweifelt kaum ein Experte. Michael Huth traut seiner Meisterläuferin jedoch mittlerweile zu, dass sie "für die Plätze vier bis zehn konkurrenzfähig sein kann". Je nach Gegnerschaft und Tagesform.

Zumindest sagt er, und das freut ihn wirklich, trainiere Nicole Schott "so bewusst wie ein russisches Mädchen". Er betreut sie, seit sie vor fünf Jahren aus Essen nach Oberstdorf wechselte, und er schätzt ihre Disziplin, ihre tägliche Motivation, ihre Athletik und ihre klaren Zielvorgaben. Und noch eine wichtige Anerkennung hat sie sich so erarbeitet. Aufgrund ihrer Weltranglistenposition darf sie nun erstmals bei der EM in der letzten Startgruppe aufs Eis - mit der Elite des Eiskunstlaufs. Das ist zwar auch kein Oscar. Aber eine Garantie, dass sie die Aufmerksamkeit erhält, die eine Drachen-Dompteurin auf Kufen verdient.

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SZ vom 05.01.2020
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