Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf:Die Poetin der Pirouetten

Lesezeit: 4 min

Die Oberstdorferin Aya Hatakawa ist erfolgreich in ihre erste Saison als Juniorin gestartet. Bei den Bavarian Open will sie sich weiter steigern. Ein Plan B im Leben? Nicht einmal ihrer Mutter fällt etwas ein.

Von Isabel Winklbauer

Rechts läuft die Energie, links die Poesie. So sieht das Feld der Juniorinnen im Eiskunstlauf aus, wenn man in der Halle eins des Oberstdorfer Eislaufzentrums dem Training zusieht. Die Teilnehmerinnen der Bavarian Open üben ihre Sprünge und Pirouetten, wobei die Seite der Poesie die bayerische Läuferin Aya Hatakawa einnimmt. Die 15-Jährige mit japanischen Wurzeln wärmt sich mit einem sicher gestandenen Doppelaxel auf, setzt dann mehrmals zum dreifachen Rittberger an und landet schließlich ein elegantes Exemplar - direkt neben der Kölner Konkurrentin Nargiz Süleymanova, die auf der anderen Seite Dreifach-Dreifach-Kombinationen aufs Eis nagelt. "Wunderschön", murmelt eine ältere Zuschauerin an der Bande.

"Es gibt keine wie sie. Sie ist einzigartig", sagt Hatakawas Trainer Florian Just

Für die Oberstdorferin Hatakawa ist dies die erste Saison als Juniorin, und bisher lief alles bestens. Beim Junior Grand-Prix in Danzig landete sie klar in der vorderen Hälfte des Felds, bei den deutschen Juniorenmeisterschaften sowie den deutschen Meisterschaften errang sie jeweils Silber. Damit kann sie zufrieden sein. Doch die junge Läuferin will mehr. "Mein Ziel ist es, meine bisherige Bestpunktzahl zu übertreffen", sagt sie. "Angst vor der Konkurrenz habe ich dabei nicht. Ich sehe mir während des Wettkampfs nicht die Ergebnisse der anderen an, aber ich schotte mich auch nicht mit Kopfhörern ab. Ich bleibe einfach ruhig und versuche, mein Bestes aus dem Training umzusetzen." Ihre Bestpunktzahl im Kurzprogramm landete sie bisher im Oktober mit 54.93 beim Goldenen Bär in Zagreb, nur 0.67 Punkte hinter der Siegerin Süleymanova. Das Ziel für die Kurzkür der Bavarian Open an diesem Dienstag wären also 55 Punkte.

"Ihre Stärke ist die Schönheit der Sprünge und ihr Laufstil", sagt Hatakawas Trainer Florian Just. "Wenn man sich fragen würde, von welcher großen Eiskunstläuferin sie sich vom Typ her etwas abschauen könnte, dann müsste man sagen: Es gibt keine wie sie. Sie ist einzigartig." Für eine Eiskunstläuferin relativ groß und athletisch, wirkt Hatakawa auf dem Eis doch feenhaft zart. Ihre lyrischen, temporeichen Pirouetten versetzen die Preisrichter in Hochstimmung, ihre Sprünge und Kombinationen bereitet sie von langer Hand vor. Sie zählt zum Sprung nicht nur den Einlauf, sondern auch die Schritte davor, Lauf und Punkteelemente sind bei ihr ein Fluss.

Das verrät auch ihre Trainings-Methode: Die anderen Läuferinnen üben erst isoliert die Sprünge und laufen dann ihre Programme, Hatakawa dagegen spielt immer wieder dieselbe Sequenz ihrer Kurzkür ab und übt die Sprünge in musikalischer Verbindung. Die Kombination Dreifach-Lutz mit Dreifach-Toeloop ist dabei die knackigste Aufgabe. Sie übe aber auch am Vierfach-Toeloop, erzählt Hatakawa, denn der Dreifach-Toeloop falle ihr leicht und gelinge ihr stets in guter Höhe. Auch den Axel würde sie gerne dreifach springen. "Beide klappen bisher aber nur an der Longe. Vor allem beim Axel schleudere ich noch zu sehr." Trainer Just nickt. "Bei dem, was gerade international passiert, muss man schon zusehen, dass man mithalten kann", sagt er und spielt damit auf die Vierfach-Revolution der drei sprungstarken jungen Russinnen an, die in dieser Saison alle wichtigen Goldmedaillen abräumten. Wer nicht wenigstens einen Vierfachen oder den Dreifach-Axel zeigt, hat inzwischen auch bei den Frauen international keine Podiums-Chancen mehr. Ebenso ist der künstlerische Anspruch gestiegen. Hatakawas Küren werden deshalb auch von dem international bekannten Choreografen Benoit Richaud entworfen und von der früheren Eistänzerin Nelly Zhiganshina gepflegt.

In ihrem bürgerlichen Leben besucht Hatakawa die Mittelschule in Oberstdorf. Ihre Mutter Hiroko und sie sind des Eislaufens wegen ins Allgäu gezogen als Aya kaum Grundschülerin war, der Vater und die ältere Schwester arbeiten und studieren in Düsseldorf. Fragt man Hatakawa nach ihrem Lieblingsfach in der Schule, oder überhaupt nach einem Plan B im Leben, irgendetwas außer Eiskunstlauf, so überlegt sie lange. Nicht einmal ihrer Mutter fällt etwas ein. "Zurzeit bin ich einfach Eiskunstläuferin", sagt Hatakawa. Solche Hingabe gefällt natürlich ihrem Verein, dem EC Oberstdorf, sowie dem Bundesverband, der sie im Januar endlich in den DEU-Kader aufnahm.

Außer ihrem Laufstil und ihrer Hingabe hat Aya Hatakawa noch einen weiteren Trumpf im Ärmel, der ihr in den nächsten Saisons helfen dürfte. Ihre Haupttrainerin ist eigentlich Olympiasiegerin Aljona Savchenko - diese ist nur gerade in der Babypause und hat deshalb das tägliche Geschäft an den ehemaligen Paarläufer Just übergeben. "Aljona und ich telefonieren regelmäßig über Ayas Fortschritte", erzählt er, "und sie schaut immer wieder vorbei. Erst gestern kam sie zum Training."

Wenn Savchenko ihre Babypause beendet, hat Hatakawa wieder eine Legende an ihrer Seite

Wenn Savchenko aus der Baby- und Schaulauf-Pause zurückkommt, hat Hatakawa also wieder eine Legende an ihrer Seite. Eine übrigens sehr strenge Legende, vor der die US-Läufer Alexa und Chris Knierim 2018 nach wenigen Monaten Training flüchteten. Hatakawa lächelt nur. "Aljona ist streng, aber ein bisschen streng muss ein Trainer ja sein. Sie ist jedenfalls nicht so streng, als dass ich nicht bei ihr laufen wollen würde."

Auch die Kürkleider für ihre Programme hat Savchenko der jungen Läuferin aus ihrem eigenen Fundus vermacht. Das Kostüm mit den schwarz-rot-goldenen Flammen trug die Olympionikin selbst noch 2017 im Wettkampf. Heute scheint es wie gemacht für ihren Schützling. Doch Hatakawa braucht keine schönen Kleider, um zu glänzen. Als sie in die Startposition zu ihrer Kür geht, um sie einmal ganz durchzulaufen, weichen die anderen Läufer an die Bande. Was jetzt kommt, bekommt Platz und will jeder sehen. "Exogenesis Part 3" von Muse erklingt, und Hatakawa fliegt in ihrem schwarzen Dress wie ein anmutiger Vogel. Für heute hat die Poesie gewonnen.

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Quelle:
SZ vom 04.02.2020
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