Süddeutsche Zeitung

Eishockey-WM:Reihe drei

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Im Schatten der NHL-Profis haben die Stürmer Hager, Gogulla und Schütz das deutsche Nationalteam maßgeblich ins Viertelfinale geführt. Doch nun droht das Trio auseinanderzufallen.

Von Johannes Kirchmeier, St. Petersburg/München

In die Kabine der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft hat Bundestrainer Marco Sturm ein Poster geklebt. Darauf ist der Leitspruch zu lesen, den Sturm, 37, seinen Spielern für die Weltmeisterschaft in Russland mit auf den Weg gegeben hat: "To Russia with passion" - nach Russland mit Leidenschaft. Man will einem Trainer ja nichts unterstellen, aber damit hat er sich auch schon mal für den Fall, dass es nicht so gut gelaufen wäre, abgesichert. Dann hätte er am Ende der Vorrunde ja sagen können: "Wir haben wenigstens leidenschaftlich gekämpft."

Marco Sturm muss das nun nicht tun. Denn erstmals seit 2011 hat das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) wieder ein Viertelfinale bei einer WM erreicht. Die Mannschaft überträgt die Leidenschaft vom Plakat aufs Eis. Und Sturm sagt: "Ich bin stolz auf die Jungs. Sie haben es sich wirklich verdient."

Stolz darf er vor allem auf eine Angriffsreihe sein, deren leidenschaftliche Leistung etwas unterging in den vergangenen Tagen, als namhafte Spieler wie Draisaitl, Greiss und Ehrhoff aus der nordamerikanischen Profiliga NHL im Fokus standen. Stolz darf Sturm auf die Reihe sein, die für die meisten Tore sorgte: Reihe drei. Die Kölner Patrick Hager und Philip Gogulla sowie der in Schweden bei Rögle BK spielende Felix Schütz haben im Schatten der NHL-Profis in sieben Vorrundenspielen je sieben Scorerpunkte gesammelt.

Deutschland setzte sich gegen starke Vorrunden-Konkurrenz durch - hier Patrick Hager (3.v.r.) und Philip Gogulla (2.v.l.) gegen die weißrussische Abwehr.

Zum Ende der Vorrunde fehlte den Deutschen gegen Ungarn zeitweise der Durchblick. Erst kurz vor Spielende wurde der Außenseiter zermürbt und mit 4:2 geschlagen.

Den USA ein Bein gestellt: Mit dem 3:2-Sieg gegen die Nordamerikaner gelang zuvor die größte Überraschung des Turniers.

Wacker geschlagen: Kanada dagegen war beim 2:5 eine Nummer zu groß für die Mannschaft des DEB. Immerhin setzte es keine 0:10-Niederlage wie im Vorjahr.

Trendwende: Im dritten Gruppenspiel gegen die Slowakei holte das Team einen Rückstand auf und siegte am Ende deutlich mit 5:1.

Zuvor startete Deutschland denkbar schlecht ins Turnier: Gegen die Finnen konnten Korbinian Holzer und Kollegen nur körperlich mithalten,...

...zum Turnierauftakt sorgte der Franzose Damien Fleury (rechts) mit seinem Treffer im Penaltyschießen bereits für einen deutschen Fehlstart.

Auch am Montagabend beim 4:2-Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Ungarn war es die Reihe drei, die die Partie zugunsten des DEB-Teams drehte: Erst traf Hager unter Mithilfe eines ungarischen Schienbeins zum 1:1, später blockten er und Gogulla Dennis Reul die Schussbahn frei - der Verteidiger erzielte die 2:1-Führung. "Wir sind mittlerweile charakterstark. Wenn die Spiele eng sind, sind wir nicht mehr so nervös wie früher", sagt Hager.

Das gilt besonders für ihn selbst, seine fünfte ist seine bislang stärkste WM. Bei den Siegen gegen Ungarn, die USA und die Slowakei schoss er jeweils den wichtigen ersten deutschen Treffer. Zudem bringt Hager die von Sturm geforderte Leidenschaft in jeder Sekunde aufs Eis: Immer wieder erkämpft er sich verloren geglaubte Scheiben bereits früh und leitet Kontersituationen ein - wie bei seinem Tor am Montag. Im Fernsehen sagte er einmal: "Ich bin vielleicht nicht der größte Spieler, aber ich gehe keinem Zweikampf aus dem Weg und versuche es dem Gegenspieler so unangenehm wie möglich zu machen." In der Tat fragt man sich bei den Auftritten des 1,78- Meter-Mannes, ob Sturm nicht noch einen Zwillingsbruder von Hager mit nominiert hat, so viel ist der kämpferische 27-Jährige unterwegs auf dem Eis. Am Wochenende beim Sieg gegen die USA raufte Hager mit NHL-Crack Nick Foligno. Und nach der Ungarn-Partie wurde er zum Spieler des Spiels gewählt.

Gegen Ungarn könnte die starke Reihe drei jedoch zum letzten Mal bei dieser WM zusammengespielt haben. Nachdem Tobias Rieder, Gerrit Fauser und Torsten Ankert bereits verletzt abgereist sind, bangt das Team auch um Felix Schütz. Im ersten Drittel war er mit Teamkollege Daryl Boyle zusammengestoßen und konnte aufgrund einer Knieverletzung nicht mehr ins Spiel eingreifen. "Das letzte Wort ist da noch nicht geredet. Ich hoffe, dass eine Chance besteht, dass er noch mal zurückkommt", sagte Sturm. "Wenn nicht, bekommen andere mehr Eiszeiten."

Sturm bleibt dennoch zuversichtlich. Bisher konnte sein Team die Ausfälle kompensieren - und ein großes Ziel ist ja erreicht: Das DEB-Team wird sich in der Weltrangliste vom 13. Rang verbessern. Am Dienstag gab der Coach seiner Mannschaft einen freien Tag zur Regeneration, ab Mittwoch bereitet er sie auf die K.-o.- Runde vor. Erst am Dienstagabend war klar, welcher Titelfavorit Gegner im Viertelfinale am Donnerstag sein wird: Es ist Gastgeber Russland, der den Weltranglisten-Dritten Schweden 4:1 bezwang.

Die Deutschen werden selbstbewusst in die Partie starten: "Wir wissen, dass alles möglich ist, wenn jeder an seine Leistungsgrenze geht", sagt Patrick Hager. Und egal gegen welchen Favoriten das DEB-Team nun spielt, es wird ihm leidenschaftlich entgegentreten. Denn Sturms Poster haben die Spieler inzwischen oft genug gelesen.

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SZ vom 18.05.2016
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