Süddeutsche Zeitung

Vierschanzentournee in Garmisch:Eisenbichlers perfekter Zeitpunkt

Lesezeit: 3 min

Von Volker Kreisl, Garmisch-Partenkirchen

Die Aufregung legt sich offenbar langsam. Die letzten Grimassen im Gesicht, die Bewegungen mit Oberkörper und Beinen, oben auf dem Startbalken, werden immer geschmeidiger. Da sitzt Markus Eisenbichler nun in voller Konzentration, mit ruhigem Blick ins Tal, wie einer dieser Siegspringer, die keinen Zweifel kennen. Eisenbichler sagt: "Ich fühl' mich sauwohl."

Die 67. Vierschanzentournee ist halb vorbei, vier Tage ist sie gerade mal alt, aber Markus Eisenbichler, den 27-jährigen Siegsdorfer, hat sie schon ein bisschen verändert. Er wirkt sicherer, denn er hat erstmals seit langer Zeit sein Können nicht nur aufblitzen lassen, sondern bestätigt. In Oberstdorf war ihm nach einem herausragenden ersten ein guter zweiter Sprung gelungen, und auf der zweiten Station in Garmisch-Partenkirchen hat er diese Vorführung nun auf fast identische Weise wiederholt: Ein 138 Meter langer Satz im ersten Durchgang, 135 Meter im zweiten. Nur einer konnte dies übertrumpfen, Ryoyu Kobayashi, der zurzeit überragende Japaner, der abermals knapp gewann.

1,9 Punkte mehr waren es diesmal, Kobayashis Vorsprung in der Gesamtwertung auf den Oberbayern beträgt nun 2,3 Zähler, das entspricht knapp eineinhalb Metern Weite. Hinter den beiden hat sich bereits eine große Lücke aufgetan, denn das Garmischer Springen hat weitere Tourneehoffnungen platzen lassen. Polens Olympiasieger Kamil Stoch gehört zu den Enttäuschten; zu den regelrecht Entsetzten zählt Stefan Kraft, Österreichs Weltklassemann, der nach einem rätselhaft anfängerhaften Auftritt im ersten Durchgang ausgeschieden war. Am ehesten wäre noch Stochs Teamkollege David Kubacki eine Aufholjagd zuzutrauen, aber nur, wenn sowohl Eisenbichler als auch Kobayashi markant nachlassen. Rund 20 Punkte beträgt ihr Abstand, also etwa zwölf Meter. Nach Kobayashi genießt nun also auch Markus Eisenbichler jenen Zustand, den alle Skispringer anstreben, und den sie mit Gewalt doch nie erreichen können. Eisenbichler weiß das aus fünf Jahren eigener, teils schlechter Weltcup-Erfahrung. Aber nun ist es offenbar so weit, seine Form ernährt sich quasi von selber: Seine Bestweiten schaffen Vertrauen in den Körper, Vertrauen ist wiederum die Grundlage für Bestweiten. Gelingt es ihm, Kobayashi auch am Freitag in Innsbruck zu attackieren, so ist auf der Fliegerschanze in Bischofshofen am Sonntag alles möglich.

Dieses Prinzip, dass nichts auszuschließen ist, gilt bei dieser Tournee auch für die Schattenseite, die der Verlierer. Am schlimmsten traf es in Garmisch die Österreicher. Schon im vergangenen Jahr erlebte deren Team eine heftige Niederlage. Damals waren fast alle Springer im ersten Durchgang ausgeschieden oder zurückgefallen, darunter auch ihr Bester, Weltmeister Stefan Kraft. Dass es noch schlimmer kommen sollte, glaubte trotz mäßiger Leistungen dennoch keiner, denn pünktlich zum Tourneestart war Kraft ja wieder da. Doch zwei Tage später holte den Österreichischen Skiverband wieder die Realität ein. Nur zwei Österreicher kamen durch, der bessere, Daniel Huber, war dann 22. des ersten Durchgangs.

Das Bitterste für den ÖSV, den Gastgeber der Tourneestationen drei und vier, war aber Krafts Absturz im Klassement. Sein Saisonverlauf gleicht weiterhin einer Achterbahnfahrt. Zwischen Platz 26 und Platz fünf ging es zunächst rauf und wieder runter, und dann schlagartig ganz weit rauf: Kraft überraschte in Oberstdorf mit einem glanzvollen Auftakt, als wäre er in bester Form. Als Dritter der Tourneewertung war er dann nach Garmisch-Partenkirchen gereist, er war wieder voll dabei.

"Es ist eben ein schmaler Grat, immer wieder", sagt Kraft, diesmal hatte er zu viel riskiert. Schon im Training und in der Qualifikation konnte er nicht überzeugen, war im ersten Durchgang also früh dran, kippte aber nach seinem Absprung nach vorne, musste den Oberkörper mit wedelnden Armen wieder aufrichten, und landete nach 114,5 Metern. Noch ehe sein K.o.-Gegner in die Spur ging, war in seinem Gesicht abzulesen: "Das war's." Kraft, für 48 Stunden die Hoffnung für ein internationales Tourneefinale, war aus dem Rennen.

Bei den Deutschen ringen derzeit ebenfalls die ehemaligen Sieger um ihre Form, nur, Andreas Wellinger und Severin Freund haben auf ihrem beschwerlichen Weg aber weitaus mehr Ruhe. Wellinger springt trotz seines zweiten frühen Ausscheidens nach Oberstdorf weiter, und Freund, immer noch im Rückstand nach zwei Kreuzbandrissen, muss nach einer weiteren Enttäuschung ab jetzt in zweitklassigen Springen versuchen, noch die Form für die WM im Februar zu erreichen. Doch beide wissen auch, dass ihre Topsprünge gerade nicht sonderlich vermisst werden - dafür ist nun Eisenbichler da.

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Quelle:
SZ vom 02.01.2019
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