Süddeutsche Zeitung

Dynamo Dresden:Routine im Zerstören schöner Tage

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Dresdens Zweitliga-Aufstieg wird von schwerer Randale gegen die Polizei überschattet - mal wieder. Auch die Reaktionen auf die Vorfälle klingen altbekannt.

Von Cornelius Pollmer

Kaum etwas auf dieser Welt wird so intensiv vermessen wie der Profifußball, und gäbe es neben Ranglisten für Auswärtstore und gewonnene Zweikämpfe auch eine für Vereine, die sich ihre schönsten Stunden am verlässlichsten selbst zerstören, dann hätte Dynamo Dresden gute Chancen auf die Meisterschaft.

Am Sonntag löste der Verein bereits vorzeitig wieder das Ticket für sein mutmaßlich natürliches Habitat, die zweite Bundesliga. Ein Grund zu großer Freude? Die Meldungen am Tag danach lesen sich stattdessen, als wäre Dresden Ziel eines Terroranschlags geworden: Das Ausmaß der schweren Ausschreitungen am Rande der Partie gegen Türkgücü München (4:0) werde "erst allmählich richtig deutlich", heißt es bei der dpa. Die Feuerwehr habe während ihres Einsatzes am Sonntag "Alarmierungsstufe MANV1" ausrufen müssen - dieses Kürzel steht für "Massenanfall von Verletzten".

Insgesamt seien 44 Menschen medizinisch versorgt und teils in umliegende Krankenhäuser gebracht worden, hieß es. Die Polizei beklagte 185 verletzte Einsatzkräfte (von denen 30 vorläufig dienstunfähig sind), der Deutsche Journalistenverband in Sachsen teilweise schwere tätliche Übergriffe auf Journalisten. Ausgegangen war Gewalt im Wesentlichen offenbar von etwa 500 gewaltbereiten Menschen, die auch aus dem Schutz einer später teils duldenden Gruppe von mehreren tausend Fans heraus vor dem Stadion die Polizei angriffen. Diese setzte ihrerseits Wasserwerfer und Reizgas ein und meldet nun 32 registrierte Straftaten, unter anderem: Körperverletzung, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz.

Die Routine im Umgang mit den Vorfällen wirkt befremdlich

Und nun? Es ist eine fast gespenstische Routine in Dresden, mit der unterschiedliche Gruppen inzwischen auf Vor- und Ausfälle wie die am Sonntag reagieren. Die Vorgeschichte des Dynamo-Umfelds ist lang und besteht längst nicht nur aus Bengalos und Nebeltöpfen. Gerade vor dem Hintergrund der am Sonntag ausgeübten Gewalt aber wirkte die Routine umso befremdlicher.

Da ist zunächst der Verein selbst, der erst schmallippig und formelhaft die Ausschreitungen kritisiert, um dann direkt wieder ins Partyprogramm umzuschalten auf den vereinseigenen Kanälen und schwarz-gelben Aufstiegsplunder vom Fischerhut bis zur Kaffeetasse anzupreisen. Man werde die Geschehnisse mit den Sicherheitskräften und Fanvertretungen "aufarbeiten", heißt es von Dynamo am Montag. Auch das Verb "aufarbeiten" gehört zu dieser gespenstischen Routine wiederkehrenden Unheils.

"Verantwortungslos und gefährlich"

Dazu gehört auch die Reaktion aus Teilen des Umfelds von Dynamo, in denen sofort wieder von verzerrender Berichterstattung, provozierender Polizei und so weiter die Rede ist. Manche Forenbeiträge und Tweets klingen, als seien Hooligans eher zufällig in der Nähe des Stadions gewesen, um im Großen Garten nebenan Blumen zu pflücken. Man würde gerne seltener an dieses Banner denken, das Auswärtsfans einmal zu einem Jubiläum mitbrachten, aber jetzt kommt es einem wieder in den Sinn: "60 Jahre - und immer sind die anderen schuld".

Zur Routine gehören außerdem die Reaktionen aus dem politischen Bereich. Der Innenminister denkt jetzt mal wieder laut über personalisierte Tickets und Stadionverbote für Gewalttäter nach, der SPD-Innenexperte Albrecht Pallas sagt, den Gewaltbereiten gehe es nur um sich, ihren Frust und nicht um andere, dies sei "verantwortungslos und gefährlich".

Zur journalistischen Routine wiederum gehört es, zum Beispiel Albrecht Pallas anzurufen und ihn mit Blick auf die eingangs erwähnte Selbstzerstörungstabelle zu fragen, wie hoch der Schaden denn nun zu schätzen sei. Ohne voreilig Milde walten lassen zu wollen, sagt Pallas, vermutlich sei in rund 14 Monaten mit fast immer leeren Stadien "Übung im Umgang miteinander verloren gegangen". Polizei und Gewaltbereite seien einander schon länger nicht mehr in solcher Weise begegnet, auch dies könne zur Eskalation am Sonntag beigetragen haben. Und eine Eskalation, das war es - bei allem Hang zur Routine in der Bewertung - ja wirklich. "Dass es da so machtvoll mit so vielen Leuten gegen die Polizei ging, das war schon ungewöhnlich und heftig", sagt Pallas, der Landtagsabgeordnete.

Albrecht Pallas sagt auch, er hätte sich vom Verein eine schnellere und klarere Positionierung gewünscht, man müsse auch Selbstverständliches in solchen Situationen "schon deshalb laut sagen, damit die Umfelder das hören und sich nicht mitreißen lassen von Gewaltbereiten". Der Verein trage da per se eine Verantwortung.

Zudem, sagt Pallas, sei am Sonntag mal wieder deutlich geworden, dass Gewaltprävention eine Daueraufgabe sei, die nicht allein bei den Vereinen liegen könne. Der Sächsische Landtag übrigens wird im Laufe der Woche einen Haushalt beschließen, darin vorgesehen: eine Erhöhung der Mittel für Fanprojekte. Nachdenken könne man zudem über grundsätzliche Konsequenzen, so Pallas, etwa die Umlage von Kosten für Polizeieinsätze. Diese Debatte sei nach wie vor "nicht abgeschlossen. Sie hatte sich nur ein wenig abgekühlt durch Corona."

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