Süddeutsche Zeitung

Dopingskandal:Der nächste schwere Verdacht

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Der Leichtathletikverband stellt Strafanzeige gegen Manager Jos Hermens und ermittelt gegen Nils Schumann und Grit Breuer wegen Dopings. Die Anzeige den weltgrößten Leichtathletik-Manager mit 120 Aktiven erschüttert den Weltsport in den Grundfesten.

Thomas Kistner

Der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) hat am Montag bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg Strafanzeige gegen den spanischen Arzt Miguel Angel Peraita und den niederländischen Athletenmanager Jos Hermens erstattet. Zugleich wurde ein sportrechtliches Ermittlungsverfahren gegen 800-m-Olympiasieger Nils Schumann und Grit Breuer wegen Dopingverdachts eingeleitet, beide wurden am Freitag per Einschreiben informiert.

Die Anzeige gegen Hermens, den weltgrößten Leichtathletik-Manager mit 120 Aktiven, eigenen Meetings und Geschäftsverbindungen bis nach China, erschüttert den Weltsport in den Grundfesten. Der DLV ist nach Auswertung von Materialien aus dem Prozess gegen den im Februar wegen Minderjährigen-Dopings verurteilten Trainer Thomas Springstein zu dem Verdacht gelangt, dass der Niederländer zentrale Figur in einem international operierenden Doping-Betrugsnetzwerk ist. Die langjährigen Hermens-Klienten Schumann und Breuer werden als logische Nutnießer dieses Netzwerks verdächtigt.

Die Namen Hermens und Peraita waren schon im Springstein-Prozess gefallen, der Niederländer hielt demnach Kontakte zu dem Dopingexperten in Madrid, mit dem auch Springstein via E-Mail über künstliche Leistungssteigerung fachsimpelte. Dass Peraita ein Anabolika-Experte ist, ging auch aus Expertisen im Internet hervor. Da beendet er gar eine Abhandlung zum Thema ,,Anabolika-Training'' mit der rhetorischen Frage an den Konsumenten: ,,Jetzt ist es an Dir zu entscheiden, ob du ein anaboles oder ein kataboles Training suchst - willst du schrumpfen oder wachsen?''

Der DLV will sich zu Einzelheiten und Hintergründen seiner Anzeigen nicht äußern. Doch nach Informationen der SZ hat die Staatsanwaltschaft Magedburg bei der Razzia im Hause Springstein neben Dopingmitteln aus unter anderem spanischer Herkunft sowie dem verräterischen Fax- und Mailverkehr zwischen Trainer (Codename: Top Speed) und Arzt Peraita (Top Doc) Unterlagen sichergestellt, die das komplette Funktionsschema eines professionell operierenden Dopingkartells widergeben.

Sitz des Netzwerkes, das Institut Consulting Advanced Technics On Human Performance, ist demnach Madrid, Calle Fernandez de la Hoz 76. Dies war zugleich eine Adresse Peraitas, an der aber auch der spanische Blutexperte Merino Batres firmierte. Wenige Schritte weiter befindet sich ein Appartement des mutmaßlich Ullrich-Betreuers Fuentes, der wiederum selbst eng mit Batres zusammenarbeitete. Beide werden im Zuge der laufenden ,,Operacion Puerta'' beschuldigt, rund 200 Topathleten aus Radsport, Fußball und Leichtahtletik gedopt zu haben. Trotzdem, sagte ein mit dem Fall vertrauter Experte am Montag der SZ, ,,sind dies hier zwei verschiedene Kreise''.

Kontakt zu verschiedenen Ärzten

Das legen auch die Unterlagen des Consulting-Institus nahe. Da heißt es unter der Rubrik ,,Hochleistungs-Sportprogramme'': ,,Interessierte Athleten sollen zuerst Herrn Jos Hermens kontaktieren, der wiederum Kontakt mit unserem Verkaufsdirektor sucht, der dann Details organisiert wie die Abholung des Klienten, Hotelreservierung und Transport zu unseren Einrichtungen. Für Aufenthalts- und Reisekosten zu und von unserer Stadt ist der Kunde selbst zuständig.''

Sei der Kontakt über Hermens hergestellt, soll der Sportler einen Vertrag unterschreiben, in Vorkasse gehen und wird dann in Madrid nach Auswertung seiner Körperwerte (Blut, Urin, Ph-Werte etc.) individuell ,,eingestellt''. Die Plaette der eingesetzten Substanzen reicht von Testosteron und Steroiden mit kurzer Nachweiszeit wie Andriol über nicht nachweisbare Hormon- und Insulinpräparaten.

Später wird ,,ein zweites Gespräch mit dem zuständigen Doktor arrangiert, der dem Klienten alle Aspekte des Programms im Detail erklärt''. Es folgt laufende Beratung und Überwachung, die Erstellung detaillierter Trainingspläne samt Medikamentendosierung und Einnahme-Zyklen sowie das Verschicken der erforderlichen Substanzen und Medikamente. All das läuft in der Regel über den jeweiligen Trainer.

Ein System, dessen Funktionsweise in einigen Stadien sogar bezeugt werden kann. Im Dopingfall Amewuh Mensa zeigte sich, dass die Hochspringerin die Substanz Oxandrolon (über das Springstein mit Top Doc fachsimpelte) von einem ärztlichen Sportzentrum in Madrid bezogen hatte. Mensah, damals mit Olympiasieger Schumann privat verbandelt und zu dessen Manager Hermens gewechselt, hatte sich dort wegen einer Verletzung behandeln lassen.

Ihrem Bonner Anwalt Richard Eimer zufolge war die Vermittlung an Peraitas Praxis über Manager Hermens gelaufen. ,,Daran bestand nie Zweifel'', sagte Eimer der SZ. Mensah habe vor den Untersuchungen ,,erst einen Vertrag unterschreiben und Geld zahlen'' müssen. Eimer: ,,Auf mich wirkte das wie eine klubartige Behandlung großer Künstler.''

An Peraitas Adresse wurden Mensahs Laborwerte ermittelt, er soll die Athletin zu Batres' Analyselabor geschickt und ihr das Steroid Oxandrolon vermittelt haben. Mensah, deren Zweijahres-Sperre 2003 endete und die heute in den USA lebt, hat stets bestritten, wissentlich gedopt zu haben. Ihr Anwalt sagt, Hermens und der Arzt seien beim damaligen Sportprozess keine Hilfe gewesen. Der Spanier hätte angedeutet: ,,Du bist es, die bei uns behandelt werden wollte, geh' davon aus, dass Du dann selber schuld bist.''

Unter spanischen Journalisten galt Peraita schon damals auch als Betreuer von Grit Breuer, der Lebensgefährtin Springsteins. Auf SZ-Anfrage bestritt Peraita im Februar jeden Kontakt zu den beiden Deutschen - und auch, dass ihn die Website eines englischen Internet-Kaufhauses für Fitnessernährung mit Foto zeigte: Top Doc Peraita im weißen Kittel am Schreibtisch.

Vorgestellt wurde er darin als ,,einer von Europas führenden Ärzten für Wettkampfvorbereitung'', dessen Patientenkreis die Creme des Weltsports umfasse: ,,Olympiasieger, Europa- und Weltmeister in Sportarten wie Leichtathletik, Radsport, Tennis, Boxen, Fußball''. Peraita behauptete, ,,keine Ahnung'' zu haben, ,,was mir da auf die Website geschrieben wurde.'' Stunden nach der SZ-Anfrage war der ihn betreffende Teil der Website gelöscht.

Auch die Akten, welche die Magdeburger Staatsanwaltschaft bei der Razzia in Springsteins Haus fanden, zeigen ein anderes Bild. Es reicht von Trainingsplänen, die namentlich für die Athletin erstellt sind, bis zu Rechnungen, die angeblich für ihre Betreuung samt Dopingmittel-Versorgung erstellt wurden; mal über 2644 Dollar, mal über 6470 D-Mark. Als Klient firmiert pikanterweise stets: ,,Global Sport Communication'' - und namentlich Agenturchef Jos Hermens.

Der hat bei seiner niederländischen Agentur ,,Global Sports Communication'' weltweit 120 Athleten unter Vertrag, erführte unter anderem den äthiopischen Wunderläufer Haile Gebrselassie zu einer Weltkarriere. Die Agentur organisiert auch selbst Leichtathletik-Meetings in Shanghai, Mexiko und dem niederländischen Hengeloo. Hermens war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, er weilt laut einer Agentursprecherin in einem dreiwöchigen Urlaub.

,,Der DLV redet nicht nur von Null-Dopingtoleranz, er praktiziert sie'', ließ Präsident Clemens Prokop gestern verlauten und erneuerte seine Forderung nach einem Anti-Dopinggesetz. Roland Augustin, Chef der Nationalen Antidopingagentur NADA, sagte: ,,Ich begrüße das Vorgehen des DLV. Der Fall zeigt erneut, dass wir gesetzliche Hilfen brauchen.''

Comeback von Schumann

Beim DLV wie in der Nada wurde bestürzt registriert, dass etwa Breuer als A-Kader-Athletin jahrelang zu den häufig getesteten Sportlern zählte. Jurist Prokop hatte lange um Akteneinsicht zum Springstein-Prozesses gekämpft. Der Trainer war wegen ,,Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz im besonders schweren Fall'' zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten verurteilt worden.

Der Ex-Coach der früheren 400-Meter-Läuferin Breuer hatte zwischen 2003 und 2004 auch den 800-Meter-Olympiasieger Schumann trainiert. Breuer beendete im Dezember ihre Karriere. Schumann feierte im März ein Comeback, bestritt aber danach keine Rennen mehr, weil er von einem Hund gebissen worden war.

Von beiden Athleten lagen zunächst keine Äußerungen vor. Sollte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eröffnen, droht nicht nur den Athleten eine Zeugeneinvernahme, sondern auch Springstein, dessen eigenes Verfahren abgeschlossen ist. Könnte spannend werden, was der Doper womöglich unter Eid zu seinem Aktenfundus erklärt.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2006
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