Süddeutsche Zeitung

DFB-Team in der WM-Qualifikation:Radio Müller übertönt Radio Eriwan

Lesezeit: 3 min

Hansi Flick gewinnt auch sein siebtes Spiel: Mit einem souveränen 4:1 in Armenien beendet eine deutsche Reserve-Nationalmannschaft die WM-Qualifikation. Im März sollen nun zwei große Gegner präsentiert werden.

Von Christof Kneer, Eriwan

Wo war Jogi Löw an diesem Abend? Vor drei Tagen haben sie ihn noch mit großem Karo verabschiedet, Mats Hummels hat sich sogar extra einen entsprechenden Mantel fertigen lassen. Und nun, im kalten Eriwan, wo man zwei dieser Mäntel hätte übereinander tragen können, sprach niemand mehr vom Ex, der sich vermutlich im heimischen Freiburg vor dem Fernseher einquartiert hatte - um mit anzuschauen, wie Hansi Flick das erfolgreich zu Ende brachte, was er, Löw, im Frühjahr mittelerfolgreich begonnen hatte. Mit dem 4:1 (2:0) in Armenien beschloss die Nationalelf die Qualifikations-Kampagne für die WM in Katar, die in einem guten Jahr, am 21. November 2022, starten wird. SZ-Prognose: Karierte Mäntel, immerhin, wird dort keiner brauchen.

"Diesen guten Abschluss haben wir uns vorgenommen, da kann ich der Mannschaft nur gratulieren", sagte Flick nach der Partie. Mit sieben Siegen in sieben Spielen hat Flick nun also geliefert, wie man so sagt, und die Lieferung gelang so souverän, dass man schon wieder vergessen hat, unter welchen Geschäftsbedingungen der neue Bundestrainer den Auftrag ursprünglich übernommen hatte. Seinem Vorgänger Löw war auf den ersten Metern der Qualifikation ja ein Teil der Ladung vom Laster geplumpst, nach einer Niederlage gegen Nordmazedonien war die DFB-Elf bei Flicks Dienstbeginn nur Gruppendritter. Flick hat die Elf dann so zügig nach Katar geführt, dass die letzten beiden Spiele nur noch eingeschränkten Wettbewerbscharakter hatten - in einer anderen Hinsicht war die WM an diesem Abend in Eriwan aber schon sehr präsent.

An der Kontersicherung muss die Mannschaft weiter arbeiten

So viele Spieler waren Flick in den vergangenen Tagen abhandengekommen, dass die abschließende Partie zur ungeplanten Castingshow wurde. So übernahm etwa Marc-André ter Stegen den Posten zwischen den Pfosten, nachdem Flick zuvor die gigantische Heldentat geglückt war, Manuel Neuer zu einer Spielpause zu überreden. Nur vier Startspieler vom Donnerstag standen erneut in der Elf, Thomas Müller spielte auf der Zehn statt auf der Neun, Thilo Kehrer rechts hinten statt in der Innenverteidigung, Jonas Hofmann rechts vorne statt rechts hinten. Der Gladbacher Luxusreservespieler Florian Neuhaus bekam im Mittelfeld seine Chance an der Seite von İlkay Gündoğan, auch der nachnominierte Leverkusener Jonathan Tah durfte seinen beachtlichen Körper mal wieder durch die hinteren Reihen wuchten.

Ohne dass die Sportmedien darüber berichtet hätten, fand an diesem Abend ein weiteres interessantes Duell statt, und dabei fand das legendäre Radio Eriwan seinen Meister. Es unterlag Radio Müller, was keine Schande war, weil dessen Inhaber, Thomas Müller, schon ganz andere Gegner in die Niederlage gequatscht hat. Müllers Monolog begann schon vor dem Anpfiff, als Kapitän für einen Abend durfte er die Platzwahl bestreiten, eine Viertelstunde später ließ er bereits Taten folgen: Er spielte einen exquisiten Doppelpass mit Jonas Hofmann und kommentierte dann wahrscheinlich im Geiste mit, wie Hofmann davonsauste und den Ball nach innen brachte, wo Stürmer Kai Havertz den Ball mit dem linken Außenrist ins Tor schubste.

"Lasst den Ball laufen, flach spielen", hörte man Hansi Flick einige Minuten später rufen, aber es war keine Nachkommentierung des Führungstors für Radio Müller, es war die Aufforderung eines Trainers, der offenbar bemerkte, dass es sich seine Elf mit ihrem Führungstor ein bisschen zu gemütlich machte. Die DFB-Elf ließ die Armenier nun zurück ins Spiel kommen, und Flick bekam immerhin ein paar Szenen geliefert, die er seinen Spielern als Anschauungsmaterial ins Home-Office schicken kann. Die Lektionen werden sich um die Fachbegriffe "Kontersicherung" und "Restverteidigung" drehen, die Flicks Nationalspieler nun ein wenig vernachlässigten. Aber die Armenier waren trotz des Mitwirkens des ehemaligen Dortmunders Henrich Mchitarjan in Summe nicht gefährlich genug, um den Deutschen einen unangenehmeren Abend zu bereiten. Zur Pause gab es am Sieger des Abends kaum einen Zweifel mehr: Gündoğan verwandelte in der Nachspielzeit einen Elfmeter, den Schiedsrichter Letexier (Frankreich) nach Konsultierung des TV-Gerichts mit Verspätung verhängt hatte.

Torwart ter Stegen bleibt im DFB-Trikot unglücklich

Radio Müller hatte nach der Pause leider Tonprobleme, man hätte schon gerne gehört, wie Thomas Müller den valentinesken Fehler des armenischen Torwarts Butschnjew kommentiert hätte, der Gündoğans Rollerchen ins Törchen rutschen ließ (50.). Zwar hielt der Kollege ter Stegen tadellos, dennoch wirken seine Auftritte im DFB-Trikot weiterhin wie von einer boshaften Macht dirigiert. Zwar war er beim armenischen Anschlusstreffer, einem Elfmeter von Mchitarjan (59.), erkennbar machtlos, dennoch hat ter Stegen nun 100 Prozent aller DFB-Tore in der WM-Qualifikation kassiert (4/4). Diesen Treffer ließ die Elf aber nicht lang auf sich sitzen, die Bilder von Hofmanns Tor zum 4:1 (64.) kann Flick zu Motivationszwecken ins Home-Office hinterherschicken. Havertz und die eingewechselten Casting-Kandidaten Julian Brandt und Lukas Nmecha hatten zuvor mit eifrigem Gegenpressing einen gegnerischen Ballverlust provoziert.

Vier Monate wird die DFB-Elf nun pausieren, derzeit führt der Verband Verhandlungen, um für die Testspiele im März zwei große Gegner zu präsentieren. SZ-Prognose: Manuel Neuer wird dann wieder spielen. Und Jogi Löw wahrscheinlich zuschauen.

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