Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalelf:Joachim Löw wird zum Bundes-Buddha

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Von Jonas Beckenkamp, Évian-les-Bains/München

Ein Schluck aus dem Espresso-Becher ist an sich keine große Geste, aber bei Joachim Löw schwingt ja immer auch ein wenig Lässigkeit mit. Der Bundestrainer trinkt den Kaffee nicht nur, er genießt ihn - so war das auch an diesem Samstagvormittag in Évian. Zum Gespräch mit den Berichterstattern gönnte sich Löw einen kleinen Wachmacher, seine gute Laune wirkte dabei fast schon ansteckend.

"Das hier ist keine Arbeit für mich, das mach' ich gerne. Ich freue mich, dass Sie mich hier alle Löcher in den Bauch fragen", scherzte Löw. Es war nur einer von vielen Schmunzelmomenten dieser Pressekonferenz, die einen prägenden Eindruck aus den vergangenen Wochen verfestigte: Der Bundestrainer wird immer mehr zum Bundes-Buddha. Diesen Mann würde derzeit wohl höchstens akute Kaffeebohnen-Knappheit aus der Contenance bringen. Und so plauderte Löw über allerlei Themen. Zum Beispiel über Jérôme Boatengs Mannöverkritik an den Kollegen Thomas Müller und André Schürrle im Polen-Spiel.

"Innerhalb der Mannschaft ist er absolut respektiert und anerkannt. Ich fand es gut, dass er nach dem Spiel die Dinge so klar angesprochen hat." Boatengs Kritik am fehlenden Zusammenspiel im letzten Drittel sei "vollkommen zutreffend" gewesen. Und überhaupt, so Löw, habe er erfahrene Kräfte vor dem EM-Turnier sogar explizit dazu ermuntert, sich im Mannschaftskreis offen zu äußern. Dass der Bayern-Verteidiger schon während des 0:0 gegen Polen diesen Kreis um ein paar Millionen Fernsehzuschauer erweitert hatte, stört Löw überhaupt nicht.

Dass die Nordiren nach ihrem 2:0 gegen die Ukraine ebenfalls noch aufs Weiterkommen hoffen, scheint Löw nicht in seinem Optimismus zu erschüttern. Aus ihm sprach die kilometertiefe Überzeugung, dass die Nationalelf die Gruppe C als Erster abschließen wird.

Alles andere wäre nach seinen Ansprüchen eine Farce. "Wir wollen gegen Nordirland gewinnen, wir werden gewinnen, wir werden die Gruppe gewinnen", sagte er. Nordirland bringe zwar "unglaubliche Kampfkraft, eine wahnsinnige Energie und kopfballstarke Spieler" mit, aber mit solchen Widerständen sollte der Weltmeister natürlich klarkommen.

Und so gönnte sich Löw zum Schluss noch einen Diskurs über das einzige wirklich ernsthafte Problem seiner Elf: Ihr fehlt nach vorne noch die Wucht bei dieser EM. Schon gegen die Ukraine erschlaffte der Angriff phasenweise, dann kam die Offensive gegen Polen stellenweise komplett zum Erliegen. Löw findet aber: "Die wenigen Chancen gegen Polen haben nichts damit zu tun, ob wir mit einer 'richtigen Neun' oder mit einer 'falschen' spielen." Götze, Gomez oder Müller vorne drin? Das Personal sei im Grunde zweitrangig. "Wir waren einfach zu wenig in der Box. Da ist es egal, ob wir dort einen großen oder kleinen Spieler haben."

Im weiteren Verlauf des Wettbewerbs müsse man "mit mehr Tempo in die Spitze gehen, denn nur dann kann man Tore erzielen." Wie es geht, haben wieder einmal die Spanier vorgemacht, Löws ewige Vorbilder in Sachen Spielkultur und Effektivität. Beim 3:0 gegen die Türkei lieferte der Titelverteidiger am Freitagabend die wohl beste Leistung eines Teams bei dieser EM ab, reichlich jogi bonito inklusive. "Spanien kann das hervorragend, aber wir haben es in der Qualifikation und in den letzten Jahren auch gekonnt: Wir haben immer viele Tore erzielt, ich sehe in der Offensive kein Problem", so Löw.

Kleine Veränderungen an der Aufstellung könne es zwar geben, aber am Grundgerüst will der Bundestrainer festhalten. Schnickschnack wie eine Dreierkette kommt für ihn gegen Nordirland nicht in Frage und auch die zuletzt kritisierten Mesut Özil, Mario Götze und Thomas Müller wird er wohl nicht austauschen. "Müller ist ein Spieler, der es auch mal wegsteckt, wenn er nicht trifft", erklärte Löw, "ich glaube an die Fähigkeiten dieser Leute." Dann nahm er noch einen Schluck Espresso. Und schwebte förmlich vom Podium.

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