Süddeutsche Zeitung

Deutsche bei der Vierschanzentournee:Durch das Tal hindurch springen

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Die Vierschanzentournee läuft an den Deutschen vorbei. Die DSV-Springer sind nicht gefestigt genug, um dem Druck stand zu halten. Bundestrainer Werner Schuster muss seine Athleten nun stark machen - damit er in Sotschi nicht die nächste Ernüchterung erklären muss.

Ein Kommentar von Thomas Hahn

Einen Volksentscheid hätte Martin Schmitt wahrscheinlich gewonnen am Neujahrstag, weil er längst nicht mehr nur ein früherer Weltmeister ist, sondern ein Deutschland-Skispringer der Herzen. Aber das Publikum darf ja nicht mitwählen, wenn der Bundestrainer Werner Schuster seine Auswahl für die zweite Tournee-Hälfte bestimmt, und so hat Martin Schmitt hinnehmen müssen, dass er es nicht wie im vergangenen Jahr geschafft hat, aus der nationalen Gruppe ins Weltcup-Team aufzusteigen. Das Neujahrsspringen 2014 war tatsächlich der Schlusspunkt von Schmitts Weltcup-Karriere, sofern er nicht noch mal einen Einsatz zum Abschied geschenkt bekommt oder ihn ein Sinneswandel befällt.

Schade, zumal es durchaus zu rechtfertigen gewesen wäre, Schmitt nach seinem 27. Platz in Garmisch-Partenkirchen ins siebenköpfige A-Team zu heben. Siebtbester Deutscher ist er in der Gesamtwertung auf Platz 33., der nominierte Karl Geiger liegt deutlich schlechter (54.). Aber Schmitt weiß selbst, dass Schusters Entscheidung schon ihre Richtigkeit hat.

Die Tournee läuft an den Deutschen vorbei. Anschaulich haben Severin Freund und die anderen Begabten im Team auf den ersten beiden Etappen der vierteiligen Prestige-Serie gezeigt, dass sie noch nicht gefestigt genug sind, um unter dem Druck des Großereignisses ihre Bestform abzurufen.

Das wird Schuster prüfen müssen, denn die Zeiten sind vorbei, in denen man ständig darauf verweisen kann, dass der deutsche Skisprung nach Jahren der Krise vor der Schuster-Ankunft 2008 an seiner Zukunft bastelt. In der sechsten Saison darf eine gelungene Aufbauarbeit mehr bringen als ein Zwischenergebnis im Mittelmaß; Michael Neumayer, 34, ist als Elfter gerade der beste Deutsche in der Tournee-Wertung.

Aber gerade deshalb ist es richtig, jetzt keinen Nostalgie-Kurs zu fahren und Martin Schmitt eine letzte, ohnehin vage Chance zur Olympia-Qualifikation zu geben. Stimmt, Schmitt ist einer der wichtigsten Mitarbeiter des deutschen Wintersports in den vergangenen 15 Jahren, wegen seiner vielfältigen Verdienste hat er sich einen Bonus verdient. Aber Schuster muss nach der verpatzten Tournee den Spiele-Einsatz in Sotschi vorbereiten, um wenigstens dort über Achtungserfolge hinauszukommen. Martin Schmitt kann ihm dabei nicht helfen, dazu ist er bei der Tournee nicht stark genug gewesen.

Und auch wenn Schusters bisherige A-Springer bei der Tournee diverse Enttäuschungen fabrizierten - sie alle haben die formale Olympia-Qualifikation schon geschafft, auch der hypernervöse Geiger. Schuster muss diese Leute jetzt stark machen und über Wettkampfpraxis durch ihr Tal führen, damit er in Sotschi nicht die nächste Ernüchterung erklären muss.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2014
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