Süddeutsche Zeitung

Darmstadt trotzt dem HSV ein 1:1 ab -:Mit zwei Wachhunden

Lesezeit: 3 min

Der Aufsteiger aus Südhessen wirkt forscher und hungriger als der Hamburger SV, lässt aber zu viele Chancen aus. Trotzdem sieht Trainer Schuster sein Team "voll im Soll".

Von Johannes Kirchmeier, Darmstadt/München

Darmstadts Trainer Dirk Schuster ist leidenschaftlicher Marathonläufer, im vergangenen Jahr brauchte er 3:55 Stunden für den Frankfurt-Marathon. Dieses Jahr wollte er den New-York-Marathon laufen, musste am vergangenen Wochenende aber absagen, weil er ja auch Fußballtrainer ist. Als solcher setzt er natürlich auf die Fitness seiner Spieler und darauf, dass sie, wie es im Marathon so schön heißt, den inneren Schweinehund besiegen - was sie Woche für Woche tun. Sie sind zwar eines der technisch limitiertesten, aber auch eines der kampfstärksten Teams der Bundesliga - das war auch am Samstagabend im Spiel gegen den Hamburger SV zu sehen. Dennoch erarbeitete sich Darmstadt ein 1:1 (0:1).

Schuster hatte dem Team einen Plan aufgetragen: Er wollte vor allem den Hamburger Regisseur Lewis Holtby aus der Partie nehmen. Zwei bissige Wachhunde waren auserkoren worden: die defensiven Mittelfeldspieler Jérôme Gondorf und Peter Niemeyer, die das Spiel mit je einer gelben Karte beendeten, aber auch ihr Ziel erreichten: Lewis Holtby war nur an wenigen Offensivaktionen beteiligt, der HSV verließ das 1921 erbaute Böllenfalltor mit nur einem Punkt - nach einem Spiel, das vor allem von vielen Zweikampfszenen und einem hohen Maß an Einsatzbereitschaft geprägt war. "Die machen es einem wirklich extrem schwer, durch die vielen Zweikämpfe kommst du nicht ins Spiel", sagte HSV-Trainer Bruno Labbadia bei Sky.

HSV-Trainer Labbadia wirkt bei seiner Rückkehr nach Darmstadt oft zerknirscht

Sein Team hat dabei zwei Halbzeiten absolviert, in denen es nur 25 Minuten mitspielen und mitkämpfen wollte. Die Südhessen legten jeweils stürmisch los - und das, obwohl eigentlich die HSV-Aufstellung nominell forscher gewirkt hatte: Labbadia setzte in Pierre-Michel Lasogga und Sven Schipplock auf einen Zwei-Mann-Sturm. Der blieb jedoch richtig blass. Stattdessen traf der Darmstädter Konstantin Rausch bereits nach fünf Minuten per 24-Meter-Freistoß die Latte. Auch danach waren es die Darmstädter, die die Chancen hatten: Sandro Wagner enteilte den Gegenspielern Johan Djourou und Emir Spahic, kalibrierte den Abschluss aber nicht richtig und schoss aus fünf Metern weit drüber (8.), Konstantin Rausch scheiterte kurz darauf an René Adler.

Labbadia verzog in der Anfangsphase oft das Gesicht, er wirkte angefressen an der Seitenlinie bei seinem großen Wiedersehen. In Darmstadt ist er ja so etwas wie ein verlorener Sohn: Ein Café haben sie dort nach ihm benannt, er hat die Vereinshymne eingesungen und sowohl seine Spieler-, als auch seine Trainerkarriere am Böllenfalltor begonnen. Besonders stark machte sich bemerkbar, dass ihm die Defensivstammkräfte Dennis Diekmeier, Albin Ekdal und Gojko Kacar fehlen. Die Verteidigung wirkte vor allem auf der rechten Seite, wo Gotoku Sakai Diekmeier ersetzte, das ganze Spiel über besonders anfällig.

Erst in der 21. Minute hatte der HSV die erste Chance (durch einen Diaz-Weitschuss). Die HSV-Stürmer hatten vor dem Spiel erst zehn Tore in elf Spielen geschossen, das Toreschießen bleibt das große Problem in dieser Saison. Und so erzielte Lasogga die Führung in der 28. Minute bezeichnenderweise per Elfmeter. Niemeyer hatte zuvor etwas unbeholfen gewirkt, als er den Hamburger Michael Gregoritsch an der Strafraumgrenze am Fuß erwischte. Schuster: "Es war ein Elfmetergeschenk." Kurz vor der Pause wollte Niemeyer das Geschenk wieder zurücknehmen mit einem Dropkick aus elf Metern. HSV-Torwart Adler rettete aber mit einer starken Parade (41.).

Der 1,75-Meter-Mann Marcel Heller kommt völlig frei zum Kopfball

Nach der Pause kam erneut Darmstadt frischer auf den Platz und traf gleich nach etwas über 60 Sekunden zum Ausgleich. Dabei machte es die HSV-Hintermannschaft dem Torschützen Marcel Heller allerdings sehr leicht: Acht Spieler im und um den Strafraum orientierten sich zum ballführenden Jérôme Gondorf, der trotzdem locker flanken konnte. Heller stand völlig alleine am zweiten Pfosten und köpfte ein. Für den 1,75-Meter-Mann ein seltenes Vergnügen: "Als Kopfballmonster ist er nicht unbedingt bekannt", sagte Trainer Schuster. Labbadia analysierte genervt: "Beide Innenverteidiger sind nach außen gerückt. Und wir gucken viel zu sehr nach dem Ball, aber hinten muss einer mitgehen mit Heller."

Auch danach blieb Darmstadt am Drücker, hatte erneut durch einen Rausch-Freistoß (48.) und einem Caldirola-Kopfball (58.) zwei Möglichkeiten zur Führung. Doch einmal rettete Adler, einmal strich der Kopfball knapp vorbei. Auf Seiten der Hamburger hatte noch einmal Lasogga eine Kopfball-Gelegenheit. Sein Aufsetzer flog jedoch knapp über Christian Mathenias Tor (68.). Mit dem 1:1 konnten beide Seiten offenbar gut leben. Trainer Schuster bilanzierte angesichts von 14 Punkten aus zwölf Spielen: "Wir sind absolut im Soll." Und bestätigte, dass er zur Winterpause 19 Punkte anpeilt. Er weiß, dass der Punktgewinn gegen den HSV nur ein Schritt ist im Kampf gegen den Abstieg. Und der dauert deutlich länger als ein Marathon.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2015
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