Süddeutsche Zeitung

Cristiano Ronaldo:Der Titel, der ihm noch fehlt

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Von Javier Cáceres, Sotschi

"As armas!", lautet die Strophe der portugiesischen Nationalhymne, die am Inbrünstigsten gesungen wird: "Zu den Waffen". Wenn man Cristiano Ronaldos neue Frisur sieht, möchte man meinen, der Stürmer und Kapitän des Europameisters nehme die Strophe diesmal wörtlich. Die Haare trägt er so kurz wie lange nicht mehr; zöge er einen Helm auf, würde nichts verrutschen. Der bloße Anblick verrät also, dass er es diesmal wissen will. Nicht von ungefähr: Die Weltmeisterschaft in Russland, die an diesem Freitag für ihn in Sotschi um 20 Uhr mit dem Spiel gegen Spanien beginnt, bietet die womöglich letzte Chance für den Stürmer von Real Madrid, den Weltpokal zu erobern. Ronaldo ist nun schon 33, beim Turnier in Katar wäre er schon 37. Nach menschlichem Ermessen zu alt, um noch ernsthaft von dem einzigen Titel zu träumen, der ihm fehlt.

Eines kann ihm aber niemand mehr nehmen. Ronaldo wurde 2016 bei der Europameisterschaft in Frankreich der erste Kapitän einer portugiesischen Nationalelf, die eine Trophäe entgegennehmen konnte. Damals wirkte er nur anfangs im Finale mit; er ging verletzt zu Boden und zeigte sich von seiner verletzlichsten Seite: Er weinte, schluchzte, haderte, dass es ergreifend war. Er, der sich längst für unsterblich hält, wirkte, als sei er sich seines irdischen Wesens bewusst geworden.

Doch wer meinte, Ronaldo wähnte sich damit am Ziel, sah sich getäuscht. Er hat schon heute alle überdauert. Zum Beispiel Eder, den Siegtorschützen des gewonnenen Finales gegen Frankreich - der 30-Jährige ist in Russland nicht mehr dabei.

Ronaldo traf ausnahmslos in der Vorrunde

Ronaldos Zahlen sind schon heute atemberaubend. Seit seinem Debüt im Jahr 2003, als er für Luis Figo eingewechselt wurde, hat er für die Nationalelf 81 Tore erzielt. In WM-Qualifikationsspielen traf er 15 Mal. Sollte ihm auch beim Turnier in Russland ein Tor gelingen, würde er bei vier WM-Turnieren Tore erzielt haben - so wie vor ihm Miroslav Klose, Uwe Seeler und Pelé. Bislang kommt er auf drei Treffer bei ebensovielen WM-Teilnahmen, er erzielte sie ausnahmslos in der Vorrunde.

Die Vorzeichen, dass es ihm gelingt, stehen gut. Vor seinem Kurzurlaub, aus dem er am Montag vergangener Woche zurückkehrte, kam er nach holprigem Saisonstart bei Real Madrid in 44 Pflichtspielen auf 44 Tore und acht Vorlagen. In Kiew holte er den fünften Champions-League-Titel seiner Laufbahn. Und im Rennen um das, was ihn vielleicht am meisten interessiert, den rekordträchtigen sechsten Sieg bei der Wahl zum Weltfußballer, darf er davon ausgehen, seinem ewigen Rivalen Lionel Messi vom FC Barcelona jetzt enteilt zu sein. Der Argentinier kommt ebenfalls auf fünf Goldbälle für den Weltfußballer.

Das alles sind Daten, die ihn darin bestärken, bei seinem Arbeitgeber Real Madrid eine saftige Gehaltserhöhung einzuklagen. Nach dem in Kiew gewonnenen Champions-League-Finale gegen den FC Liverpool (3:1) ließ der Portugiese durchblicken, dass er erwäge, Spanien zu verlassen. Sein stärkstes Argument: Messi und der Brasilianer Neymar von Paris Saint-Germain würden ungefähr das Doppelte pro Saison einstreichen; Ronaldo kommt auf circa 23 Millionen Euro netto. Hinzu kommt, dass er Probleme mit dem spanischen Finanzamt hat - die sich aber offenbar lösen lassen. Die Online-Zeitschrift elconfidencial.com berichtete vor einigen Tagen, dass die Einigung auf eine Gesamtzahlung von 18 Millionen Euro nur deshalb nicht unterschrieben worden sei, weil die leitenden Finanzbehörden sich nach dem Regierungswechsel in Spanien erst den Segen des neuen Finanzministers holen wollen. Das passte nicht ganz in den Zeitplan von Ronaldo, der das Thema gern vor dem WM-Start vom Tisch gehabt hätte.

Elconfidencial.com wartete auch mit einem anderen Detail auf, das erklärt, dass Ronaldo größeres Interesse haben könnte, in Spanien zu bleiben, als er öffentlich bekennt. Als 2014 das so genannte "Beckham-Gesetz" auslief, das ihm ermöglichte, einen erheblich reduzierten Einkommenssteuersatz zu zahlen und einen hohen Prozentsatz seiner Werbeeinnahmen im Ausland zu versteuern, machte er eine Vorauszahlung für die Abgaben, die bis 2020 fällig werden sollten. Dem Geld müsste er, wechselt er ins nichtspanische Ausland, erst einmal nachlaufen. Und in der neuen Heimat wohl neuerlich Steuern zahlen.

Andererseits hat Real soeben einen neuen Trainer verpflichtet, der bei Ronaldo Punkte sammeln müsste: Spaniens bisherigen Nationaltrainer Julen Lopetegui. Der erklärte unlängst im Interview, dass ihn kein Spieler mehr beeindruckt habe als: Messi. Normalerweise empfindet Ronaldo solche Klassifizierungen als gotteslästerlich. Das direkte WM-Duell der beiden fällt zwar aus, Lopetegui wurde am Mittwoch entlassen. Doch die Provokation dürfte Ronaldo als groß genug empfinden, um seinem künftigen Chef Liebesgrüße aus Sotschi zu schicken.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2018
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