Süddeutsche Zeitung

Champions League:United erlebt schon wieder ein Inferno

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Trotz zwischenzeitlicher 2:0- und 3:1-Führungen spielt Manchester United bei Galatasaray Istanbul nur 3:3. Das Aus in der Champions League ist nur schwer zu verhindern - und erweckt ein altes Trauma des Traditionsvereins.

Von Sven Haist, Istanbul

Sofern es so etwas wie eine Fußballhölle gibt, kommt das Ali-Sami-Yen-Stadion von Galatasaray Istanbul, benannt nach dem Gründungsvater des Vereins, dieser Vorstellung ziemlich nahe. Vor dem Champions-League-Heimspiel des türkischen Klubs gegen Manchester United am Mittwochabend überzogen die Heimfans die Arena mit einer Choreografie in den gelb-roten Vereinsfarben, wie sie die Königsklasse nur selten erlebt hat. Zwischen einem riesigen Henkelpokal und einem majestätischen Löwen, dem Wappentier von Galatasaray, bildeten die Besucher auf der Gegengeraden einen Schriftzug: "This is Sami Yen". Und nach einer Minute drehten die Leute dann auf Kommando jeweils die auf allen Plätzen ausgelegten Farbplakate um - wodurch die Bedeutung des Spruchs in abgewandelter, auf Manchester United bezogener Form zu lesen war: "Welcome to hell".

Dazu änderte sich auch der Tonfall der Begleitmusik im Stadion; die ganze Szenerie zielte auf jenes berühmt-berüchtigte "Welcome to the Hell"-Banner aus dem ersten Duell der beiden Vereine in Istanbul im November 1993 ab, das zum Symbol des damaligen Scheiterns von United wurde. Und dafür, dass der Klub auch später nie auswärts bei Galatasaray gewinnen konnte.

Und ja, die Albtraum-Nächte für United setzten sich fort. United führte zwar 2:0 und 3:1. Aber am Ende war der Klub wieder drin im Inferno, wie immer. Galatasaray gelang mit einer höllisch anmutenden Aufholjagd noch ein 3:3 (1:2). Und so liegt Manchester mit vier Zählern aus fünf Spielen auf dem letzten Gruppenplatz. Um das Achtelfinale zu erreichen, müssten sich Galatasaray und der FC Kopenhagen am letzten Spieltag unentschieden trennen - und United die Heimpartie gegen den Tabellenführer FC Bayern gewinnen.

Obwohl United am Bosporus also dringend einen Sieg benötigte, waren es die Hausherren, die von Beginn an nach vorn stürmten. Eine andere Taktik hätte das Publikum wohl auch nicht akzeptiert. So nutzte United das bisweilen übermütige Draufgehen des Gegners aus, indem das Team von Trainer Erik ten Hag das Pressing gekonnt überspielte und dann durchbrach. Gleich die ersten beiden Spielzüge in der 11. und der 18. Minute saßen, und wie: Alejandro Garnacho und Bruno Fernandes knallten den Ball jeweils unter die Torlatte. Und auch der dritte, herrlich herausgespielte Treffer durch Scott McTominay fiel später nach diesem Prinzip (55.).

Mehrere bittere Pointen für United-Trainer ten Hag

Doch so sehr die frenetisch anfeuernden Gala-Anhänger ihre Mannschaft in die Vernachlässigung der Defensive trieben, so sehr half die offensive Ausrichtung dann auch, um die Rückstände aufzuholen. Die Anschlusstore erzielte jeweils Hakim Ziyech durch Freistoßflanken (29./62. Minute) - unter tatkräftiger Mithilfe des United-Torwarts André Onana. Beim 1:2 verspekulierte sich Onana, beim 2:3 wehrte er den flatternden Ball ungeschickt ins eigene Netz ab. Vor dieser Saison hatte sich ten Hag speziell für die 50 Millionen Euro teure Verpflichtung des Torhüters von Inter Mailand starkgemacht; im Vergleich zu Ex-Keeper David de Gea hielt der Trainer Onana für besser in der Spieleröffnung. So gesehen waren die Patzer eine von mehreren bitteren Pointen an diesem Abend für ten Hag.

Etwa jene, dass der Niederländer vor dem Spiel die Startelfnominierung des Mittelfeldabräumers Sofyan Amrabat mit dessen Erfahrung in wichtigen Spielen begründet hatte - ihn aber in der 58. Minute ohne ersichtlichen Grund gegen den 18-jährigen Champions-League-Debütanten Kobbie Mainoo austauschte. Prompt ging die Stabilität verloren - und Mainoo hatte in der 71. Minute im entscheidenden Zweikampf gegen den 3:3-Torschützen Kerem Aktürkoglu das Nachsehen. Wobei: Nur wenige Sekunden vor dem Ausgleichstreffer ging im sintflutartigen Regen ein Gewitterblitz über dem Stadion nieder. Womöglich waren also auch höhere Mächte im Spiel.

Der Stadionsprecher rief den Namen des Torschützen viermal aus, der Kommentator des türkischen TV-Senders Exxen brüllte sogar zehnmal "Gol" ins Mikrofon. Und auf den Rängen tanzten die gelbroten Teufel zur obligatorischen Galatasaray-Tormelodie - der Hermes-House-Band-Partyversion des Discohits "I Will Survive" von Gloria Gaynor. Kaum auszumalen, was los gewesen wäre, wenn Gala noch das Siegtor erzielt hätte. Vorsichtige Mutmaßung: die Hölle.

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