Süddeutsche Zeitung

Joshua Kimmich:Das Brüllen der Anderen

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In der entscheidenden Saisonphase wirkt beim FC Bayern sogar Joshua Kimmich müde - er kann das Fehlen wichtiger Spieler in Paris nicht kompensieren. Doch für die Bundesliga gibt es Hoffnung.

Von Sebastian Fischer, München

Viele Fußballer haben in den vergangenen Jahren diese Geste gesehen und dann gewusst, dass sie verloren haben: Joshua Kimmich, brüllend, den Mund so weit aufgerissen, dass sich die Augen zu dünnen Schlitzen verengen. Nun, nach dem Ausscheiden des FC Bayern im Champions-League-Viertelfinale in Paris, war es Kimmich selbst, der diesen Gesichtsausdruck sah. Und man brauchte nicht viel Fantasie, um den Hohn darin zu erkennen. "Das Schicksal wollte, dass auch Kimmich da war", sagte der Brasilianer Neymar dem Fernsehsender TNT Sports Brasil über jene Szene, als er mit seinem Mitspieler Leandro Paredes genauso jubelte, wie es von Kimmich weltberühmt ist, Sekunden nach dem Schlusspfiff - genau vor Kimmichs Augen. Der Münchner musste Paredes aus dem Weg schieben, so nah kamen ihm die beiden Pariser.

Niemand, vielleicht von Thomas Müller abgesehen, steht wie Kimmich für den Stil des FC Bayern, der in den vergangenen Monaten zu sechs Titeln führte. Es ist Kimmich, 26, der mit seinen Pässen aus dem defensiven Mittelfeld für Münchens spielerische Dominanz hauptverantwortlich ist - jedenfalls, nachdem Thiago den FC Bayern verließ, von dem diese Dominanz im Champions-League-Finale gegen Paris im vergangenen Jahr ausgegangen war. Und es ist vor allem immer Kimmich, der sich im Zweifel einfach weigert, zu verlieren. Müde waren die Bayern ja schon öfter in dieser Saison, gleich zu Beginn etwa, als sie kaum eine Sommerpause hatten, bevor es mit Spielen im Dreitages-Rhythmus weiterging. Kimmich schoss in dieser Phase auch mal ein Tor im Fallen mit der Hacke aus purem Willen, im Supercup gegen Borussia Dortmund. Doch diesmal war der Wille nicht genug.

"Es ist so, dass wir auch ein wenig aus dem letzten Loch pfeifen", sagte Torwart Manuel Neuer in Paris. Tatsächlich hatte man das Ende der Münchner Kräfte und das Fehlen wichtiger Spieler in nahezu allen Mannschaftsteilen beobachten können in den beiden Partien gegen PSG. Selbst Neuer, beim 1:0 im Rückspiel mal wieder herausragend gegen die auf der Gegenseite überragenden Stürmer Neymar und Kylian Mbappé, hatte beim 2:3 im Hinspiel ja einen Fehler gemacht, beim 1:0 von Mbappé. Vorne im Sturm erfüllte Eric Maxim Choupo-Moting seine Rolle zwar bravourös, zwei Tore schoss er in seinen zwei wichtigsten Spielen als Ersatz von Robert Lewandowski.

Wäre mehr gelungen mit mehr Alternativen auf der Bank?

Aber trotzdem waren die Fragen natürlich naheliegend: Wäre es dem verletzten Weltfußballer Lewandowski vielleicht noch besser gelungen, die Pariser Abwehr unter Druck zu setzen, Bälle zu behaupten und Chancen zu nutzen, gerade bei 31 Torschüssen im Hinspiel? Hätte der positiv auf Corona getestete Serge Gnabry noch ein paar mehr Chancen herausgespielt, als es den Flügelspielern Leroy Sané und Kingsley Coman gelang? Überhaupt: Wäre mehr gelungen mit mehr Alternativen auf der Bank als dem letzten gesunden offensiven Einwechselspieler Jamal Musiala, 18, den Trainer Hansi Flick für die Schlussphase brachte?

Auch Kimmichs Position war von den zahlreichen Ausfällen betroffen, und vielleicht war das am Ende die gravierendste Lücke. Leon Goretzka ist neben ihm so etwas wie die pumpende Lunge des Münchner Spiels, doch wegen muskulärer Probleme saß er am Dienstag nicht mal auf der Bank. Im Duo mit David Alaba gelang es Kimmich nicht, dem Bayern-Spiel den Antrieb zu geben, den es mit Goretzka zuletzt hatte.

Und nun? "Morgen muss dann schon wieder der Fokus auf Wolfsburg sein, auch wenn's schwerfällt", sagte Flick. Dann, rund um das nächste schwere Bundesligaspiel beim Tabellendritten VfL, könnten die ersten Verletzten wieder zurückkehren, so sarkastisch das aus Münchner Sicht auch anmuten mag. Goretzka hatte bereits im Münchner Abschlusstraining am Montag mitgemacht. Auch Lewandowski hatte mit dem Lauftraining begonnen, genau wie Verteidiger Niklas Süle. Und dann ist es bei weiterhin fünf Punkten Vorsprung in der Liga natürlich sehr wahrscheinlich, dass Kimmich demnächst noch mal berechtigterweise seine Freude hinausbrüllen kann. Wenn auch nicht ganz so euphorisch. Es wäre ja schon sein sechstes Mal mit der Meisterschale.

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