Süddeutsche Zeitung

Mainz schlägt Leipzig:Ein kaum einkalkulierter Rückschlag

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Auf zerfurchtem Rasen gewinnt Mainz gegen Leipzig mit 3:2 und zieht aus dem Sieg enorme Kraft für den Abstiegskampf. Julian Nagelsmann muss zugeben, dass der Überraschungserfolg durchaus verdient ist.

Von Frank Hellmann, Mainz

Mangelnde Aktivität war zumindest dem Trainer von RB Leipzig an diesem widrigen Wintertag nicht vorzuwerfen. Fast im Akkord warf Julian Nagelsmann mit seinen schwarzen Handschuhen fleißig alle Bälle zurück, die in der Nähe seiner Trainerbank ins Seitenaus geflogen waren. Ansonsten gab der Coach zwar fortwährend hektische Fingerzeige oder schrie lautstark seine Anweisungen aufs Spielfeld, was schlussendlich die 2:3 (2:2)-Niederlage beim FSV Mainz 05 ebenso wenig verhinderte wie eine längere Beschwerde bei Schiedsrichter Bastian Dingert nach Abpfiff.

Letztlich hatten sich die Sachsen den kaum einkalkulierten Rückschlag bei einem Abstiegskandidaten ja selbst zuzuschreiben. "Die Schärfe und die Aggressivität bei Mainz war größer. Das war kein super-anschauliches Spiel, aber mit drei Punkten für Mainz, die nicht unverdient sind", räumte Nagelsmann später ein. Dass der FC Bayern dank dem ersten Mainzer Heimsieg der Saison nun sogar am Sonntag auf sieben Punkte Abstand davon ziehen können, wollte der zerknirschte RB-Fußballlehrer gar nicht weiter groß erörtern: "Grundsätzlich müssen wir nicht über die Bayern sprechen, wenn wir die Spiele verlieren. Es geht darum, selbst die Spiele zu gewinnen."

Warum die Akteure mit den purpurfarbenen Trikots im Offensivspiel mit fortschreitender Spieldauer ebenso kraft- wie hilflos wirkten, erklärte Nagelsmann mit der Kombination aus leidenschaftlich verteidigenden Mainzern und einem schwer zu bespielbaren Geläuf. "Da hätten wir mehr auf die zweiten Bälle gehen müssen, das haben wir nicht getan." Keine Ausrede sei definitiv die Belastung, führte der 33-Jährige aus: "Alle Statistiken zeigen, dass wir nicht megaplatt oder megamüde sein können."

Die vielleicht zu voreilig abgeschriebenen Nullfünfer wirkten unter Neu-Trainer Bo Svensson urplötzlich mit den lange vermissten Tugenden gesegnet. Svensson, 41, kam ohne jeden Überschwang für den ersten Sieg unter seiner Anleitung aus. "Wir haben es kämpferisch als Team sehr gut gemacht", sagte der bodenständige Däne. "Mit der Mentalität bin ich sehr zufrieden. Inhaltlich müssen und können wir uns klar verbessern in allen Aspekten des Spiels."

"Wir haben unser Herz auf dem Platz gelassen", sagt Doppeltorschütz Niakhaté

Als Sinnbild der Mainzer Entschlossenheit sollte der 3:2- Siegtreffer von Leandro Barreiro werden, der eine Flanke des zur Grundlinie sprintenden, am Freitag von Frankfurt ausgeliehenen Danny da Costa mit List und Entschlossenheit am verdutzten Leipziger Torwart Peter Gulacsi über die Linie spitzelte (50.). Der Luxemburger rutschte ausgelassen auf beiden Knie über den Rasen und faltete die Hände demütig gen Himmel, ehe sich die Kollegen auf ihn stürzten. Ansonsten bewarb sich auch Abwehrmann Moussa Niakhaté für das Prädikat als Matchwinner, der gleich zwei Mal im Stile des zu Cyrstal Palace abgewanderten Torjägers Jean-Philippe Mateta zum 1:1 (24.) und 2:2 (35.) abstaubte. "Wir haben gegen eine der besten europäischen Mannschaften unser Herz auf dem Platz gelassen", sagte der französische Doppeltorschütze.

Den Mainzern taten die beiden in der Anfangself eingesetzten Leihgaben von Eintracht Frankfurt ausgesprochen gut, denn neben Rechtsverteidiger Da Costa konnte sich auch Mittelfeldkämpfer Dominik Kohr vor dem 1:1 als Torbereiter feiern lassen. "Sie haben beide gezeigt, warum sie für uns wertvoll werden können. Sie sind sofort integriert in der Mannschaft", lobte Svensson die ad hoc greifende Nachbarschaftshilfe. Der Tabellenvorletzte presste den Champions-League-Achtelfinalisten bereits am eigenen Strafraum, als hätte es die neun sieglosen Heimspiele der Hinrunde nicht gegeben.

Mainz quält den Gegner wieder

Und so kamen die Rheinhessen nach zwei Rückständen zurück, zunächst war Tyler Adams nach einem krachenden Lattenschuss von Marcel Sabitzer zum 1:0 zur Stelle (15.), später traf der ansonsten in der Rückwärtsbewegung sehr unsicher wirkende Nationalspieler Marcel Halstenberg (30.). Die Mainzer schlüpften bei ihrer besten Saisonleistung endlich wieder in die Rolle jener widerstandsfähigen Quälgeister, die an guten Tagen auch den Topteams der Liga Paroli bieten können. Eine Schlüsselrolle spielt dabei auch der umsichtige Abwehrchef Stefan Bell, der analysierte: "Wir waren sehr aktiv, für den Gegner einfach unangenehm - das hat extrem viel Spaß gemacht."

Wo die eine Seite aus dem Kampf auf einem wahrlich nicht bundesligareifen Untergrund große Lust bezog, machte sich auf der anderen Seite viel Frust breit. Nagelsmann verstieg sich dabei vor der Pause noch zu einer völlig unnötigen Tirade in Richtung Schiedsrichter Dingert, als er dem Vierten Offiziellen Marco Achmüller ins Ohr brüllte: "Was pfeift der denn für eine Scheiße?" Vor allem in der zweiten Halbzeit fehlte dem Leipziger Spiel jede Struktur. Insgesamt fünf Einwechslungen, darunter international erprobte Kräfte wie Christopher Nkunku oder Justin Kluivert, verpufften ohne jeden Effekt. "Von den Wechseln habe ich mir mehr Impact erhofft", sagte Nagelsmann, dem nichts anderes übrig blieb, als dem bis zum Jahreswechsel in der Red-Bull-Schule beim FC Liefering tätigen Kollegen Svensson nach Spielende mit einem kurzen Handschlag für einen verdienten Überraschungserfolg zu gratulieren.

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