Süddeutsche Zeitung

Bundesliga: FC Bayern:Rumoren an der Basis

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Seit Jahren ist der FC Bayern der Branchenprimus. Nun steckt der Verein in einer heiklen Phase der Neuausrichtung - die sich zur Identitätskrise auswachsen könnte.

Moritz Kielbassa

Die Schlagzeile am Dienstag war knackig, sie entstammte keiner zur Polemik neigenden Postille, sondern der seriösen Sportnachrichten-Agentur sid: "Van Gaal: Fluch oder Segen?" - "Wenn es nicht klappt, dann gehe ich!" Teil eins der Schlagzeile berief sich auf eine Debatte von FC-Bayern-Fans, die nach dem historisch schwachen Bundesliga-Start des Rekordmeisters (zwei Punkte, Platz 14) in einem Internet-Forum gegen die Vereinspolitik protestieren - eine Debatte, die seit Montag öffentlich Aufsehen erregt. Teil zwei der Schlagzeile war ein passendes Zitat des Bayern-Trainers Louis van Gaal - aus einem SZ-Interview, in dem der Holländer sein Intermezzo als Sportdirektor von Ajax Amsterdam rekapitulierte: "Wenn es nicht klappt, dann gehe ich", hatte van Gaal über dieses unerfreuliche Kapitel seiner Vita (2003/04) erzählt.

Unerfreulich ist nun auch die Schlagzeilen- und Gemengelage beim FC Bayern. Die Vielzahl kritisch-erhitzter Diskussionen der vergangenen Tage deutet an, dass den erfolgsgewohnten Münchnern - sollten sie auf dem Rasen nicht rasch die Kurve kriegen - Gegenwind in bisher ungekannter Stärke drohen könnte. Es geht, hat man den Eindruck, nicht nur um eine kleine sportliche Delle. Der seit Jahren unangefochtene Branchenprimus steckt in einer heiklen Phase der Neuausrichtung, deren Misslingen zur ernsten Identitätskrise wachsen könnte. Die Liga rüstet auf, der Bayern-Kader hingegen offenbart strukturelle Mängel. Man vernimmt daher aus vielen Ecken Rumoren, Unmut und Sorgen vor einer Abwärtsspirale.

Diese Debatten kreisen nicht nur um die mäßige Darstellung des Teams, sie berühren grundsätzliche Themen. Das hat auch damit zu tun, dass der FC Bayern ein Aufmerksamkeits-Magnet ist und selbst belangloseste Details aus diesem Klub größeren Anklang finden als jede andere Schlagzeile, nun eben auch in negativer Potenzierung - zudem damit, dass das Internet immer mehr Menschen die Möglichkeit bietet, ihre Sicht der Welt zu publizieren. Fußballfans, die sich konzentriert Gehör verschaffen, sind kein neues Phänomen mehr, beim Lokalrivalen der Bayern, dem TSV 1860, versuchen straff organisierte Fangruppen längst die Klubpolitik zu beeinflussen. Der Bayern-Fan galt bisher als zufriedener, eher passiver Kunde.

Jetzt ist er unzufrieden - und auf der bekannten Plattform transfermarkt.de erschien ein Protestschreiben einiger Anhänger, die dem Vorstand "inkompetentes Handeln" vorwerfen. Dem Aufruf der User, daraus einen "Massenprotest" zu zimmern, folgte eine Kettenbrief-artige Vervielfältigung. Insbesondere die Transferpolitik wird gerüffelt, von einem Scouting ohne "Spürnase und Kreativität" ist die Rede. Und dass man bitte noch kurzfristig Leute wie die Holländer Sneijder oder van der Vaart holen sollte - denen bei Real Madrid soeben Rückennummern und Spinds weggenommen wurden.

Auch andere zornige Mails haben die Redaktionen erreicht. Teilweise sind es gekonnte Inszenierungen, transfermarkt.de zum Beispiel kooperiert offiziell mit der Bild-Zeitung, welche die Fanaktion (wie auch andere Medien) prominent zur Geltung brachte. Andererseits decken sich die Inhalte des offenen Briefes, der formuliert ist wie eine Seminararbeit, mit dem, was auch alle Fachanalysten nach der Mainz-Blamage erörtert hatten - und seit Tagen viele ehemalige Bayern-Profis öffentlich monieren, von Lothar Matthäus bis Franz "Bulle" Roth. "Die alte Dominanz, das Mia-san-mia-Gefühl ist abhanden gekommen", klagt Oliver Kahn, Stefan Effenberg sieht "nicht die Qualität im Kader, um ganz oben mitzuspielen". Den Nimbus der Bayern, außer in schwachen Ausnahmejahren automatisch Meister zu werden, halten diverse Liga-Trainer (Veh, Magath, Rangnick) für überholt.

Der TV-Experte Effenberg prangerte an, wofür man den Kronzeugen Effenberg nicht braucht: dass die Viererkette ohne Lucio eine Problemzone ist, weil van Buyten den Abwehrchef-Part nicht erfüllt und der junge Badstuber einen erfahrenen Helfer bräuchte; dass es ein Versäumnis war, keinen Innenverteidiger von Format zu holen; dass man ohne Ribéry im Kreativsegment "eine Durchschnittself" sei, der Verkauf von Zé Roberto Spielkultur kostete, Torwart Rensing bisher kein Bayern-Niveau erreiche. Etcetera.

Auch van Gaal bleiben kritische Nachfragen nicht erspart - zu Taktik und Aufstellung, zur Qualität seiner Mitbringsel aus Holland (Pranjic, Braafheid) und seinem Umgang mit "Stars". Der kicker berichtete über erste Kontroversen mit Toni und Ribéry. Dies alles, ob Dichtung oder Wahrheit, zeigt, dass nur ein Sieg am Samstag gegen Meister Wolfsburg - und noch mögliche wirksame Transfers - die Lage beruhigen können. Zuspruch spendet der alte Trainer Jupp Heynckes: "Bayern kommt wieder!"

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Quelle:
SZ vom 26.08.2009
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