Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Dortmund platzt vor Stolz

Lesezeit: 3 min

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Die Fußballwelt schaut anerkennend nach Dortmund, glaubt der hier ansässige Manager Michael Zorc. Wenn sein Eindruck stimmt, dann könnte er in den Büroräumen der Borussia künftig Seminare über Verhandlungsgeschick bei Spielertransfers anbieten. "Nicht nur Fußballdeutschland, sondern ganz Europa hat beobachtet, wie wir uns im Fall Ousmane Dembélé verhalten haben", sagt der Sportdirektor. Schauen sich all diese Menschen jetzt auch noch die Bundesliga-Tabelle an und entdecken den BVB mit sechs Punkten und 5:0 Toren an der Spitze, dann müsste die Ehrfurcht noch steigen. Ohne Dembélé, aber mit einer dreistelligen Millionensumme als Entschädigung ist Dortmund perfekt in die neue Saison gestartet. Kein Wunder, dass gerade alle sehr stolz sind.

Sportdirektor Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke müssen jetzt nur noch miteinander aushandeln, wessen Konterfei bei einer entsprechenden Anfrage aufs Cover des Time-Magazins käme. Am Samstagabend zwischen 18.30 und 20.30 Uhr wäre auf Scannern wissenschaftlicher Glücksforscher eine Konzentrierung des Botenstoffs Dopamin in Dortmund zu verzeichnen gewesen. Dort wurden im Fußballstadion etwa 76 000 glückliche BVB-Sympathisanten und 14 glückliche BVB-Fußballer auffällig, von denen die beiden Spieler Mario Götze und Nuri Sahin besonders ausgelassen wirkten. Das fiel bei ihnen deshalb so sehr auf, weil sie auf Glücksgefühle am Arbeitsplatz in den vorangegangenen Monaten weitgehend hatten verzichten müssen.

"Mir ist es wichtig, gebraucht zu werden", sagt Sahin

Götze war wegen einer Stoffwechselerkrankung monatelang ausgefallen und arbeitet momentan an seiner Wiedereingliederung in die Stammelf ebenso hart wie an seiner Körpersilhouette. Für sehr solide 60 Minuten hat es bei ihm nun zwei Mal gereicht, "das gibt mir ein super Gefühl, und ich denke, dass es ab September auch wieder für 90 Minuten reicht", sagt er.

Für wie viele Minuten es künftig bei Sahin reicht, hängt weniger von dessen Fitness ab als vielmehr von der Rückkehr des verletzten Julian Weigl. Der Trainer Peter Bosz hat in seinem 4-3-3-System bloß Platz für einen zentraldefensiven Mittelfeldmann. Der vorige Trainer Thomas Tuchel hat ganz auf den besseren Spieleröffner Weigl gesetzt und den torgefährlicheren Sahin ignoriert, weshalb dieser im Sommer "an einem richtungsweisenden Punkt" seiner Karriere ultimativ über alles nachgedacht hat. "Mir ist es wichtig, gebraucht zu werden. Ich muss nicht der Wichtigste sein, aber ich will ein wichtiger Teil des Teams sein", sagte Sahin.

Der neue Coach Bosz setzt nun auf Sahin und sah ihn am Samstag das erste Tor vorbereiten und das zweite selbst schießen. Schon in der Vorbereitung hatte sich angedeutet, dass Sahin, 28, Bosz' System liegt. Er habe hart gearbeitet im Sommer, berichtete Sahin, "jetzt sieht man, dass ich meine Form wieder erreicht habe".

Irgendwelche Versprechungen macht Bosz dem Mittelfeldspieler aber nicht. "Momentan", sagt Bosz, mache Sahin es sehr gut. Für die Zukunft sei vielmehr relevant, welche Alternativen er als Trainer erhalte. Und da kommen außer einem für die rechte Seite prädestinierten Mister X (Kandidaten: Maxwel Cornet/Lyon, Malcolm/Bordeaux, Inaki Williams/Bilbao, Kasper Dolberg/Amsterdam) in anderen Bereichen auch die derzeit verletzten Weigl, Raphael Guerreiro, Marcel Schmelzer, Marco Reus und André Schürrle ins Spiel.

Bosz ist nicht ganz zufrieden

Es könnte in Dortmund also auch ohne den eleganten Flügeldribbler Dembélé alles gut werden. Zumal Klubchef Watzke versprach, dass man bis zum Ende der Transferperiode am Donnerstag noch einen schlagkräftigen Ersatz verpflichten wolle. Und jüngste Gerüchte, Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang drohe kurzfristig gar noch zu Manchester City zu wechseln, taten Zorc und Watzke mit einer Handbewegung ab, als wollten sie eine lästige Fliege verscheuchen. Stattdessen soll der Ukrainer Andriy Yarmolenko laut Sportbild und kicker ein Transfer-Kandidat sein. Der 1,87-Meter-Stürmer wäre aber kein Dembélé-Ersatz, sonder eher eine Ergänzung zum bisher einzigen Stürmer Aubameyang.

Der Gabuner, der am Morgen nach dem Dembélé-Verkauf noch ein ketzerisches "Und jetzt?" über die sozialen Netzwerke verbreitet hatte, wirkte am Abend auffallend froh. Aubameyang erzielte gegen eine kompakte, aber blasse Hertha aus Berlin mit dem 1:0 sein fünftes Tor im dritten Pflichtspiel der Saison.

Es gab eigentlich nur einen, der ein bisschen moserte am Samstag: Trainer Bosz. Denn was seine Spieler aus ihren 66 Prozent Ballbesitz gemacht hatten, gefiel ihm gar nicht mal so gut. "Wir hätten den Ball viel schneller laufen lassen und häufiger die Seiten wechseln müssen", klagte er und ließ sich von dem ungefährdeten Sieg nicht blenden. Die Kreativität erschien unter dem Tüftler Tuchel größer, unter Bosz aber steht der BVB bislang sicherer und hat in zwei Ligaspielen und einer Pokalpartie noch kein Gegentor kassiert. Die nackten Zahlen und der überwältigende Eindruck vom ersten Ligaspiel im stimmungsvollen Stadion machten Bosz dann natürlich schon froh. "Sechs Punkte, fünf Tore, kein Gegentreffer - da kann man eigentlich nicht meckern."

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SZ vom 28.08.2017
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