Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Der Fußball muss neu denken

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Noch ist unklar, ob und wie es mit der Bundesliga weitergehen kann. Statt eine Sonderrolle für sich zu beanspruchen, sollte man ein Testspiel in Erwägung ziehen.

Kommentar von Christof Kneer

Es ist normal und vermutlich nicht verwerflich, sich am Branchenführer zu orientieren. Viele Unternehmen in vielen Branchen machen das, und manchmal machen das sogar ganze Länder, indem sie zum Beispiel einfach kopieren, was die mitunter als role model geltenden Skandinavier so vordenken. Übersetzt auf den Fußball könnte das bedeuten, dass die Deutsche Fußball Liga (DFL) ihre 18 Erstliga-Teams demnächst an zwei Standorten zusammenzieht, in Frankfurt vielleicht und in München oder Berlin, und innerhalb von ein paar Wochen die ausstehenden neun Spieltage durchpaukt, mit mehreren Spielen an einem Tag. Hierzu müsste man die Spieler sowie die Trainer- und Betreuerstäbe ständig testen und an den entsprechenden Orten kasernieren, um die bei diesem Vollkontaktsport womöglich erworbenen Viren nicht unters Volk zu bringen.

Wie die Times berichtet, erwägt England für seine Premier League (Branchenführer!) ein solches Szenario. Demnach habe der Fußballverband das Londoner Wembley-Stadion und den St. George's Park in Burton upon Trent/Staffordshire als neutrale Austragungsstätten für den Abschluss der Ligasaison angeboten - ein Modell, das in Deutschland weder vermittelbar noch praktikabel sein dürfte, nicht nur, weil es an so herrlichen Orten wie Burton upon Trent/Staffordshire gebricht. Und die neue Fußball-Elite-Uni in Frankfurt (Kosename: Oli-Bierhoff-Akademie), an der sich die Branche versammeln könnte, ist ja auch noch nicht fertig.

Die Klubs müssen auf die Prüfung vorbereitet sein - nicht wissen, wann und ob sie stattfindet

Nach Ostern werde der deutsche Fußball ein wenig klarer sehen, was seine Zukunft anbelangt, hieß es vor Ostern. Nun ist es nach Ostern, und man sieht immer noch nur, dass man nichts sieht. Es gibt keine Erfahrungswerte, auf die sich zurückgreifen ließe, und im allgemeinen Trial-and-error-Klima ist es das gute Recht aller in der Bundesrepublik Neuland ansässigen Branchen, sich allmählich wieder an eine Art von Normalität heranzudenken, von der gleichwohl niemand weiß, wie normal sie irgendwann wieder sein wird. Es ist somit auch das gute Recht des Fußballs und seiner Profiklubs, denen es kaum anders ergeht als den vielen Abiturienten im Land: Man muss lernen, Hausaufgaben machen und auf die große Prüfung vorbereitet sein - nicht wissend, wann (ob?) sie stattfindet.

Der Fußball wird keine Sonderrechte für sich beanspruchen dürfen, er kann nicht öffnen, solange das Land geschlossen bleibt, er darf keine Virus-Testkapazitäten binden, die anderswo benötigt werden. Der Fußball wird sich auch an neue Denkmodelle heranwagen müssen: Was zum Beispiel spräche gegen ein Saison-Wiedereröffnungsspiel, in dem die Liga die Tauglichkeit und Funktionstüchtigkeit aller Parameter überprüft? Reichen zum Beispiel (wie veranschlagt) 300 Menschen, um ein Geisterspiel über die Bühne zu bringen, braucht es mehr oder weniger Sicherheitskräfte, mehr oder weniger Balljungen, mehr oder weniger TV-Kameras? Um jene Erfahrungswerte zu sammeln, die es für derart gewagte Versuchsreihen braucht, ließe sich zum Beispiel das einzig ausstehende Nachholspiel Bremen gegen Frankfurt vorziehen - als Testspiel im wahrsten Sinne des Wortes.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2020
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