Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Die Fifa macht mit Referees Politik

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Der Deutsche Felix Brych darf bei der WM nicht mehr ran, während ein anderer pfeifender Unruhestifter weiter dabei ist - die Schiedsrichter-Ansetzungen haben System.

Kommentar von Thomas Kistner

Nein, die USA sind in Russland nicht dabei. Sieger waren sie aber schon vorm Anpfiff - da hat ihnen die Fifa die WM 2026 anvertraut. Aber allmählich wird auch auf dem WM-Rasen immer mehr Amerika sichtbar. Dort ist Mark Geiger zugange, der Schiedsrichter aus New Jersey hat bei jedem seiner Einsätze heftige Kontroversen ausgelöst.

Am Dienstag war Geiger, der in der US-Operettenliga MLS pfeift, die Achtelfinalpartie England - Kolumbien entglitten; es hagelte berechtigte Kritik. Aufruhr um den stark angespannt wirkenden Spielleiter gab es auch schon bei dessen erster WM-Partie. Die Fifa hatte den Amerikaner, bar jeder politischen Einfühlsamkeit, auf das Spiel Portugal - Marokko angesetzt. Dabei hatten die USA gerade über Monate und dank Donald Trumps Twitter-Gewitter eine harte WM-2026-Kampagne gegen Mitbewerber Marokko geführt. Nach dem Spiel beklagte ein Spieler Marokkos, Geiger habe in der Pause um Cristiano Ronaldos Trikot gebeten. Geiger und Fifa dementierten (Letztere hätte es im Zweifel nicht mitgekriegt).

Dann Geigers Auftritt bei Deutschland - Südkorea: Dass das Aus des Weltmeisters jedes andere Thema verdrängte, war sein Glück. Denn Geiger hatte Südkoreas Führungstor die Anerkennung versagt - obwohl er mit freier Sicht nur wenige Meter entfernt von Toni Kroos stand, der den Ball zum Torschützen Kim leitete. Der Videoassistent musste die Sache klären. Was aber, hätte es den nicht gegeben? Und die DFB-Elf hätte gegen konsternierte Koreaner doch noch getroffen?

Auch als Videoassistent war Geiger tätig, im Spiel Dänemark - Australien wertete er ein Handspiel von Poulsen zu Unrecht als strafstoßwürdig. Der Mann hat also genug Unruhe gestiftet - doch wie wird die Fifa mit ihrem einzigen Amerikaner in Russland verfahren? Legt sie den Maßstab an, der für Felix Brych nach dessen Aussetzer im Spiel Serbien - Schweiz galt und zur Heimreise des, immerhin, Weltschiedsrichters 2017 führte?

Der Fall Brych droht nun die Linie zu entlarven, die der Weltverband beim WM-Turnier fährt: Es ist eine politische. Denn wer Brych wegschickt, muss den Videoassistenten ebenfalls davonjagen, weil es dessen originäre Aufgabe war, Sehfehler wie den zu korrigieren, der Brych unterlief. Geigers Schnitzer war vergleichsweise sogar gravierender - ihn aber rettete der Videoassistent. Brych geht, Geiger bleibt und darf ab Halbfinale wohl wieder ran: Amerikas letzter Mann in Moskau.

Was fachlich unverständlich ist, ergibt sportpolitisch Sinn. Wenn Referees aus Ländern mit bescheidenem Fußballbetrieb auf WM-, sprich: Weltniveau pfeifen sollen, wird es allzu oft politisch. Dann werden manchmal Strategien erkennbar; erinnert sei an klassische Skandalspiele wie Südkoreas Siege in Achtelfinale und Viertelfinale der WM 2002 im eigenen Land; oder an das Eröffnungsspiel 2014 in Brasilien, als der Referee die Gastgeber mit einer ganzen Kette falscher Pfiffe zum 3:1-Sieg über Kroatien lotste. Wer nicht die Besten sucht, sondern von allem etwas, nimmt auch in Kauf, was vor dieser WM geschah: Da mussten insgesamt vier bereits berufene Referees wegen Korruption wieder gestrichen werden.

Die Ausleseverfahren, dazu die öfter mal vermeidbaren Blackouts bei der Video-Beurteilung, zeigen, wie heikel die Schiedsrichterei bleibt. Wozu gut passt, dass auch Geiger kein unbeschriebenes Blatt ist. Nach dramatischen Fehlern beim Gold Cup 2015 wurde er ein halbes Jahr gesperrt; seine Arbeit hatte Mexiko gegen Panama den Finaleinzug geebnet. Aber die Fifa sorgt sich auch vor den Viertelfinalspielen nicht wegen der steten Zweifel an ihrer Schiedsrichter-Nominierung. Geigers Berufung für das Marokko-Spiel ist nämlich kein Einzelfall: Nach dem Vorrunden-K.-o. Senegals gegen Japan durfte im Achtelfinale ein Senegalese die Partie Belgien - Japan (3:2) pfeifen. Und das Viertelfinale Uruguay - Frankreich, das gerade Argentinien ausschaltete, leitet Nestor Pitana. Ein Argentinier.

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SZ vom 06.07.2018
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