Süddeutsche Zeitung

Brasilien bei der Fußball-WM:Die Wut der Marta

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Von Javier Cáceres, São Paulo

Der Trainer der brasilianischen Männer-Nationalmannschaft, Tite, war gerade auf dem Weg zur Pressekonferenz vor dem Start der Copa América - da kam die Nationalspielerin Marta auf Touren. Auf den Fernsehschirmen im Presseraum des Estádio Morumbi von São Paulo lief ein Interview mit der sechsmaligen Weltfußballerin, das es in sich hatte. Mit 2:3 hatte Brasilien im französischen Montpellier das zweite WM-Gruppenspiel gegen Australien verloren, nach einer Virada, wie in Brasilien eine Aufholjagd genannt wird. Und Marta, 33, war voller Wut, wegen eines Videoschiedsrichters (VAR) namens Bastian Dankert aus Deutschland. "Ich könnte den VAR kurz und klein schlagen", rief Marta, als das Interview schon beendet war, aber die Kamera noch lief - und meinte damit wohl die Gerätschaften, nicht Dankert. Oder?

Nicht, dass die Brasilianerinnen die Verantwortung für die Niederlage vom Donnerstag gegen Australien komplett auf Dankert abwälzen wollten. Nach den Treffern durch Marta (27./Handelfmeter) und die frühere Bundesliga-Spielerin Cristiane (38.) waren die Australierinnen down under, dann glichen sie aber durch Foord (45.+2) und Logarzo (58.) aus. Die Veteraninnen Marta und Formiga wurden zur Halbzeit wegen Blessuren ausgewechselt, Cristiane musste ebenfalls den Platz verlassen. Das Spiel entglitt den Brasilianerinnen, es kam erst Naivität und dann Dankert ins Spiel. Das Eigentor durch Monica (69.) zum 3:2 für die Australierinnen erkannte er an, obwohl eine australische Stürmerin im Abseits stand und die Frage, ob sie dabei aktiv ins Spiel eingriff, unterschiedliche Meinungen zuließ. In der Nachspielzeit riss dann eine Australierin die Stürmerin Andressa Alves um - Dankert griff nicht ein. "Alle haben das Foul gesehen. Nur der VAR nicht. Die Technologie ist dafür da, alle gleich zu behandeln. Aber wir wurden benachteiligt", ärgerte sich Marta.

Mit Klose gleichgezogen

Überhaupt die Gleichbehandlung, seit Jahren schon ist es ihr Thema. Marta, die als eine der einflussreichsten Brasilianerinnen der Gegenwart gilt, hat einiges erreicht in dem Land, in dem Frauen das Fußballspielen bis 1979 per Präsidialdekret verboten war. Zum Beispiel, dass die Präfektur São Paulos den Beamten für die WM-Spiele der Brasilianerinnen freigibt wie bei Männerspielen. Die verlorene Arbeitszeit wird bis September gestundet. An anderer Stelle sind die Hürden höher. Marta trägt zurzeit Schuhe ohne Markensymbole, man wollte ihr weniger zahlen als Männern, sie boykottiert nun die Sportausrüster. Ihre Stiefel drapierte sie mit zwei geteilten Rechtecken, eines blau, das andere rosa, als Symbol für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. "Das Bild soll für sich sprechen", sagte sie, als sie im TV auf ihre Schuhe zeigte.

In einem anderen Interview wurde sie noch deutlicher. Ein ZDF-Reporter hatte sie schon verabschiedet, da fuhr sie den Zeigefinger aus. Er habe vergessen, sie nach ihrem Rekord zu fragen, sagte Marta. Ihr Tor gegen Australien machte sie nicht nur zur ersten Spielerin, die bei fünf Weltmeisterschaften getroffen hat. Sie hat nun auch 16 WM-Tore erzielt: "Ich bin heute als WM-Torjägerin mit (Miroslav) Klose gleichgezogen, dem aus Deutschland", belehrte sie lachend den ZDF-Mann. "Mein Rekord? Es geht um die Gleichheit der Frauen", hatte sie zuvor im brasilianischen TV gesagt - und sich damit "als Gigantin erwiesen", weil sie die Causa der Frauen über ihren Rekord stellte, wie die Zeitung Folha de São Paulo schrieb. Gewonnen hätte Marta gegen Australien trotzdem lieber. Brasilien ist Erster der Gruppe C. Doch das Weiterkommen ist in Gefahr.

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SZ vom 15.06.2019
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