Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Gegen das Nervenflattern

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Beim spektakulären 3:2 in Berlin findet der BVB zur Qualität aus dem Herbst zurück. Marco Reus: "Mit dieser Moral wird es schwer, uns aufzuhalten."

Von Javier Cáceres, Berlin

Wer wollte sich in diesem Moment schon mit der Zukunft abgeben? Mit Fragen wie dieser: Ob der Druck auf den FC Bayern nun größer wird, mit dem Borussia Dortmund im Clinch um den Titel liegt? Oder: Ob man nun mit größerer Hoffnung auf den 6. April blicke, wenn der BVB nach München reisen wird - zu einer Partie, die sich zum entscheidenden Bundesliga-Showdown stilisieren lassen wird?

Lucien Favre wollte es jedenfalls nicht. Der Trainer der Borussia hielt sich mit der Vergangenheit auf - auch mit jener, die er selbst in Berlin verbracht hatte, wo er von 2007 bis 2009 Trainer gewesen war. Er traf alte Weggefährten und Journalisten, die er herzte, ehe er herzlich "au revoir" rief. Und er befasste sich mit jener Vergangenheit, die 97 Minuten gedauert hatte und ganz am Ende eine Wendung zugunsten Favres genommen und dem BVB in letzter Minute einen ebenso dramatischen wie verdienten 3:2-Sieg beschert hatte, nach zweimaligem Rückstand. Ein Auswärtserfolg in Berlin im zugespitzten Titelkampf - exakt dort, wo der FC Bayern München in der Hinrunde 0:2 verloren hatte.

Zwei Schlüsselszenen helfen dem BVB: ein verweigerter Elfer für Hertha - und eine Ampelkarte

"Es war ein verrücktes Spiel", sagte Favre. Und ja, das war es, vor ausverkauftem Haus, in einem dem Anlass angemessenen Rahmen. Fünf Tore hatte das Spiel zu bieten, zwei Platzverweise, Polemiken, vor allem aber Aufrichtigkeit im Wettstreit zweier Teams, die sich nichts schenken wollten und doch überwiegend Edelmut walten ließen. "Mit dieser Moral wird es schwer, uns aufzuhalten", sagte BVB-Kapitän Marco Reus, der in der Nachspielzeit den Treffer zum 3:2 erzielt hatte.

Es war nicht das erste Mal in dieser Saison, dass der BVB nach einem Rückstand noch Punkte holte, seit Samstagabend sind es nun schon 16. Aber es war der erst dritte Sieg aus den vergangenen neun Spielen - und der erste nach dem Verlust der Tabellenführung vor einer Woche. Alle Zeichen bei Dortmund standen auf Labilität, als Hertha in der 4. Minute erstmals in Führung ging. Maximilian Mittelstädt hatte mit dem schwächeren rechten Fuß von der Strafraumgrenze abgezogen, und Salomon Kalou kam deshalb zu einem klassischen Abstaubertor, weil er als einziger darauf spekulierte, dass Dortmunds Torhüter Roman Bürki den Ball abprallen lassen könnte. Er habe den Ball festhalten wollen, "irgendwie kam er an meine Nase", erklärte der Schweizer später.

Die Hertha verliert würdevoll. Ausnahme: Ibisevic wirft Bürki den Ball an den Kopf - rote Karte!

Dortmund kam nur zehn Minuten später zum 1:1-Ausgleich, ebenfalls durch ein Kuriosum: Thomas Delaney fing einen Pass vom Berliner Lazaro im Mittelfeld ab, stürmte los und schoss mangels Alternativen aufs Tor. Delaney traf die Wade von Hertha-Verteidiger Karim Rekik, der den Ball unhaltbar abfälschte (14.). Bereits in den vorangegangenen Wochen hatten der Neu-Nationalspieler Niklas Stark sowie Mittelstürmer Vedad Ibisevic die Hertha durch Eigentore um Punkte gebracht.

Berlin aber ging neuerlich in Führung, wieder durch Kalou, durch einen von Julian Weigl verursachten Handelfmeter. Dann kam Dortmund durch Dan-Axel Zagadou nach einer Ecke wieder zum Ausgleich (47.) - und erinnerte plötzlich an eine weiter zurückliegende Vergangenheit. an den vergangenen Herbst, um genau zu sein, als der BVB die Grundlage schuf, die zuletzt verlorenen neun Punkte Vorsprung auf die Bayern herauszuschießen.

Die Dortmunder überwanden nach dem 2:2 ihre Schwierigkeiten, das eigene Spiel aufzubauen. Sie verlagerten den Schwerpunkt ihrer Aktionen nach vorne; die mannorientierte Deckung der Herthaner, die vor allem das Mittelfeld der Dortmunder lange lahmgelegt hatte, lief nun immer häufiger ins Leere. Die Berliner kamen dennoch zu zwei wundervollen Chancen, erst durch Marko Grujic, dann durch Ondrej Duda, der regelwidrig im Strafraum gerempelt wurde, ohne dass es Elfmeter gab. "Das war nicht in Ordnung, aber wir sind ja nur die kleine Hertha", sagte Trainer Pal Dardai zu dieser Schlüsselszene. Dortmund jedoch drängte und drängte auf der Gegenseite, als wollte man nicht nur den Gegner im Hier und Jetzt, sondern das Geraune vom flatternden Nervenkostüm bezwingen. Am Ende traf nach einer Menge vergebener Chancen Marco Reus (90.+2). Dusel also? Ein Dusel gar, wie man ihm sonst den Bayern zuschreibt?

Mitnichten. Das 3:2 war das Ergebnis von Qualität: Jadon Sancho, ein Meister des Wagemuts, dribbelte, bis er Reus mit einem guten Außenristpass freispielte. Er habe nur den Fuß hinhalten müssen, sagte Reus, und unterschlug dabei, mit welcher Klasse er das getan hatte. Mag sein, dass dabei auch eine Rolle spielte, dass Herthas junger Verteidiger Jordan Torunarigha in der 85. Minute die gelb-rote Karte gesehen hatte und Hertha die Unterzahl bezahlte.

Sicher ist: Der Berliner Frust war groß - und führte noch zu einer Unbeherrschtheit von Ibisevic. Der Stürmer sah kurz vor Schluss zurecht die rote Karte, weil er BVB-Torwart Bürki den Ball an den Kopf geworfen hatte. Dieser Ausraster war auch deshalb deplatziert, weil es Niederlagen gibt, die mehr Würde haben als mancher Sieg, und Herthas 2:3 gehörte dazu. Zumal sie Dortmundern unterlagen, die so fokussiert spielten, als wüssten sie, dass die Zukunft ein offenes Buch ist, an dem man nur schreiben kann, wenn man sich um die Gegenwart kümmert.

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SZ vom 18.03.2019
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