Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Wo ist die Coolness hin?

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Von Felix Meininghaus

Als das Spiel beendet war, muss sich Mario Götze gefühlt haben, als sei er im falschen Film gelandet: Dick eingepackt in seine schwarze Daunenjacke, die Kapuze über den Kopf gezogen, schaute der Dortmunder auf das Spielfeld. Sein Blick offenbarte eine Mischung aus Ungläubigkeit und Schockstarre. Was war da bloß geschehen in der letzten Viertelstunde des Heimspiels gegen die TSG Hoffenheim?

Diese Frage wird sich nicht nur Götze gestellt haben, sondern auch seine Mitspieler, der Trainerstab und mehr als 80 000 Zuschauer im größten Stadion der Republik. Als Götze den Platz verlassen hatte, waren noch knapp zehn Minuten zu absolvieren, die Borussia führte scheinbar komfortabel mit 3:1. Am Ende dieses vogelwilden Kicks stand jedoch ein 3:3, das sich für die Dortmunder anfühlte wie eine krachende Niederlage. Der Tabellenführer hatte es nicht geschafft, einen Drei-Tore-Vorsprung über eine läppische Viertelstunde ins Ziel zu bringen.

Anschließend herrschte kollektive Ratlosigkeit, wie dieser herbe Rückschlag im Meisterschaftsrennen hatte passieren können. Es ist ja nicht nur so, dass der Vorsprung auf Rekordmeister Bayern München nun auf fünf Punkte geschmolzen ist. Auch der Umstand, dass derzeit die Siegermentalität abhanden gekommen ist, muss alle Dortmunder nachdenklich stimmen. Das Team von Trainer Lucien Favre, das bislang mit so viel Schwung und Leichtigkeit durch die Saison gerauscht war und dabei auch jene nicht zu beeinflussende Komponente auf seiner Seite wusste, die man neudeutsch als "Spielglück" bezeichnet, macht gerade seine erste problematische Phase der Saison durch. Innerhalb von nur einer Woche gab der BVB nun schon das dritte Spiel aus der Hand, das er eigentlich hätte gewinnen müssen. In Frankfurt reichten eine 1:0-Führung und zahlreiche Chancen nicht für den Sieg, gegen Bremen dann das Aus im Pokal, obwohl die Borussia in der Verlängerung zwei Mal in Führung lag, und nun gab der BVB gegen nimmermüde Hoffenheimer sogar ein 3:0 aus der Hand.

Es fehlen der Killerinstinkt und die Coolness, eine Führung über die Zeit zu spielen. Hat Borussia Dortmund ein Problem? Diese Frage mochte Edin Terzic, der seinen an Grippe erkranten Chef Favre gemeinsam mit dem zweiten Co-Trainer Manfred Stefes auf der Bank vertrat, während der Pressekonferenz nicht verneinen. "Das sind die Fakten, aber wir stehen immer noch auf Platz eins", sagte der 36-Jährige mit Trotz in der Stimme. Bei seiner Ursachenforschung fand Terzic zunächst die Unerfahrenheit des Dortmunder Ensembles: "Wir haben immer gesagt, dass wir eine junge Mannschaft haben, die Fehler macht. Aber daran müssen wir definitiv arbeiten."

Die Dortmunder Abwehr ließ Bürki einfach im Stich

Auffällig ist, wie schnell die Dortmunder Hintermannschaft in der zweiten Halbzeit, als die Hoffenheimer mit viel mehr Druck nach vorne spielten, ins Wanken geriet. Die Tore fielen ja nicht aus heiterem Himmel: Bis zum ersten Tor des Gastes hatte Torhüter Roman Bürki bereits mehrmals spektakulär gerettet. Der Keeper aus der Schweiz hatte sich bereits nach dem klaren 5:1 gegen Hannover 96 lautstark beschwert, seine Vorderleute müssten "viel konsequenter verteidigen". Nach der zweiten Halbzeit gegen das Team von Trainer Julian Nagelsmann dürfte Bürki geschimpft haben wie ein Rohrspatz. Seine Vorderleute hatten ihn sträflich im Stich gelassen. "Wir haben naiv verteidigt", sagte Co-Trainer Manfred Stefes, "wenn du 3:0 führst und das 4:0 auf dem Fuß hast, darfst du das Ding nie und nimmer aus der Hand geben." Und Mario Götze setzte noch einen drauf: "Das darf uns nicht passieren, das ist nicht zu entschuldigen."

Vor allem nach Ecken und Freistößen offenbarte die Deckung des BVB zuletzt eklatante Schwächen. "Wir kassieren Standard-Tore, auf die wir uns vorbereitet haben", monierte Manndecker Julian Weigl. "Das ist sehr, sehr ärgerlich. Daraus müssen wir lernen, das darf uns nicht mehr passieren." Die Probleme nach ruhenden Bällen animierte Terzic sogar zu einer Grundsatzkritik. Dortmunds Co-Trainer rügte die mangelhafte Einstellung der Mannschaft: "Standardsituationen sind eine Mentalitätssache. Du musst den Ball verteidigen wollen." Klare Worte - und "ein weiteres Thema, das wir in den nächsten Wochen angehen möchten".

Noch ist die Borussia Tabellenführer, doch um ganz oben zu bleiben, muss das Selbstverständnis der ersten Saisonhälfte zurückkehren. Viel Zeit, die Wunden zu lecken und sich neu aufzustellen, bleibt nicht. Bereits am Mittwoch wartet beim Champions-League-Gastspiel bei Tottenham Hotspurs die nächste schwierige Aufgabe. Bis dahin sollte Lucien Favre wieder so weit genesen sein, dass er seiner kickenden Belegschaft eindringlich erklären kann, wie man einen Vorsprung seriös verwaltet. Zumindest Assistent Stefes glaubt nicht, dass das Team aus den letzten Rückschlägen einen moralischen Knacks davontragen wird: "Die Mannschaft wird das Spiel wegstecken, sie ist gefestigt genug." Das sieht auch Mario Götze ähnlich: "Wir sind weiter guten Mutes."

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