Süddeutsche Zeitung

Boris Becker: Stationen eines Weltstars:Herrengedeck

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Ein deutscher Weltstar hat Geburtstag. Er ist immer noch er, und er wird immer der bleiben, der er war: Boris Becker zwischen T-Bone-Steak und Besenkammer.

Christian Zaschke

1985, San Lorenzo, London

Er war 17, als sein Manager Ion Tiriac ihn erstmals mitnahm ins San Lorenzo in Knightsbridge. Am nächsten Tag stand sein erstes Wimbledon-Viertelfinale an. Das Essen war gut, er gewann das Viertelfinale gegen Henri Leconte. Also ging er vor dem Finale wieder hin, der Laden gefiel ihm. Er war 17, und das war London. Er bestellte sich ein T-Bone-Steak, und am nächsten Tag gewann er das Tennisturnier von Wimbledon und wurde zu einem Weltstar des Sports.

1989 hat er beschlossen, während des Turniers nicht mehr in der Stadt zu wohnen, sondern sich draußen in Wimbledon ein Haus zu mieten, und da traf es sich prima, dass Ghigo, der Sohn des Besitzers vom San Lorenzo, ein Jahr später den Ableger des Lokals übernahm, das San Lorenzo Fuoriporta in Wimbledon. Dort war er nun zu Hause, dort aß er, dort erledigte er alles, was zu tun war, nur zum Tennisspielen ging er noch rüber auf die Anlage. Als die Zeit der T-Bone-Steaks vorbei war, bestellte er sich Mozzarella, Avocados und Tomaten als Vorspeise, dann Spaghetti Napoli mit Tomaten und Oliven, danach ein Zitronensorbet, als kleine Belohnung. So erzählte er es dem Observer.Als sein Sohn Noah einmal nicht wusste, was er essen wollte, belegten sie in der Küche schnell eine Pizza mit Mozzarella und Noahs Lieblings-Salami, nannten sie "Pizza Noah" und setzten sie auf Karte. Nicht der Centre Court von Wimbledon war sein Wohnzimmer, wie er immer sagte, es war das San Lorenzo Fuoriporta.

1985, Monte Carlo Beach Club, Monte Carlo

Zwei Tage, nachdem er Wimbledon gewonnen hatte, gab er der Bild-Zeitung im Monte Carlo Beach Club ein vierstündiges Interview. Bild hatte Franz Josef Wagner geschickt, einen Boulevard-Mann bis ins Mark, und Wagner wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Tennis hatte die Bild nie interessiert, aber nun war da der Wunderjunge, er musste hofiert werden, er musste umschmeichelt werden, also grob gesagt: Ihm musste der Arsch geküsst werden. Wagner gelang das vorbildlich. Nach dem Fototermin hatte er Wagner gefragt, ob seine Hose dreckig sei, was Wagner bejahte. Man hat sie dann gemeinsam gesäubert. Irgendwann sagte er: "Ich komm' hinten nicht ran." Zum Glück aber kam Wagner hinten ran.

Bild war es dann noch gelungen, ein paar inoffizielle Fotos von ihm aus dem Monte Carlo Beach Club zu drucken. Er lehnt an einem Geländer und schaut interessiert einer Frau auf den Busen, die sich oben ohne sonnt. Auf den nächsten Bildern - es ist eine Serie - nähert sich Prinzessin Stéphanie von Monaco. Sie will mit dem jungen Mann sprechen, der nun so berühmt ist, und also unterbricht sie ihn bei seinem Tun, indem sie ihn an der Schulter berührt. Zwei Tage war der Sieg von Wimbledon alt.

2008, Käfer, München

Im Münchner Restaurant "Käfer" feierte er im Sommer seine Verlobung mit Alessandra, genannt Sandy Meyer-Wölden, die kein bisschen aussieht wie Barbara. Sie ist blond. Er, 40, und sie, 25, wollten heiraten, sie sagte, sie freue sich auf Kinder mit ihm. Nach der Feier fuhren Teile der Gesellschaft ins P1, wo weiter gefeiert wurde. Wenig später, im Käfer-Zelt auf der Wiesn, hatte das Paar einen großen Auftritt als Traumpaar. Er trug Lederhose, sie Dirndl. Kurz darauf, im November, trennten sich die beiden.

22.11.2008

Immer wieder mal, wenn er allein ist, sitzt er an der Bar des P1. Manchmal wünscht er sich Hip-Hop, wie sie ihn in Miami spielen. Manchmal stehen Frauen um ihn herum, die er betrachtet.

Er ist immer noch er, und er wird immer der bleiben, der er war. An diesem Samstag wird er 41 Jahre alt.

1989, Savoy Hotel, London

Der Spiegelsaal des Savoy-Hotels war mit zwei deutschen Fahnen dekoriert worden. Gegen viertel vor zehn am Abend traf Steffi Graf ein, sie trug ein atemraubendes weißes Kleid, schulterfrei. Er war noch nicht da.

Sie hatte gerade Martina Navratilova im Finale von Wimbledon besiegt, er hatte Stefan Edberg, man kann das so sagen, an die Wand gespielt, drei Sätze, er war so gut wie nie. Zwei deutsche Wimbledon-Sieger. Als er endlich eintraf, wurde bereits die Lachspastete serviert. Später am Abend tanzten sie miteinander, das ist so üblich, die Wimbledon-Siegerin tanzt mit dem Wimbledon-Sieger. Seine Popularität erreichte neue Höhen, er war jetzt bekannter als der Bundeskanzler.

Später im Jahr, beim Masters in New York, wurde er zu diesem wilden Kerl befragt, Andre Agassi, der mit lackierten Fingernägeln auf den Platz kam und gekleidet war wie ein Idiot. Er, jetzt schon Anfang 20, gab sich als Elder Statesman und beschied, man müsse den Jungen, diesen Agassi, mal machen lassen, der werde seinen Weg schon noch finden. Der Junge heiratete später Steffi Graf, die Frau, mit der er damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms im Spiegelsaal des Savoy-Hotels in London getanzt hatte, nicht wissend, dass er das Turnier von Wimbledon nie wieder gewinnen würde. Agassi, "der Junge", fand sein Glück, und er, immerhin, hatte dieses Glück prophezeit.

1991, Jean-Jacques by the Sea, Melbourne

Hier aß er, nachdem er am Nachmittag Ivan Lendl besiegt hatte, in vier Sätzen. Sein Sieg bei den Australian Open bedeutete, dass er die neue Nummer eins der Weltrangliste war, der beste Tennisspieler der Welt. Nach seinem Sieg war er aus dem Stadion gelaufen, weil er laufen wollte, einfach laufen, obwohl er gerade sein Ziel erreicht hatte, also angekommen war. Das "Jean-Jacques by the Sea" gibt es nicht mehr. Jean-Jacques LaleDemoz war mit seinem Lokal in den Achtzigern raus nach St. Kilda gezogen, es war eines der besten Restaurants in Melbourne. 1995 übernahm die Familie Donovan den Laden und nannte ihn "Donovan's".

1991, Deutsches Haus, Wimbledon

Seit geraumer Zeit gab es in Wimbledon ein sogenanntes Deutsches Haus. Da die Deutschen in diesem Turnier immer wichtiger wurden, mietete der Deutsche Tennis-Bund während des Turniers ein Haus, in dem sich Sportler, Journalisten, Betreuer und Sponsoren trafen. Durch den Seitenausgang raus, an den Nebenplätzen entlang, dann kurz diese Wohnstraße entlang, einmal rechts, einmal links, da war es schon, ein kurzer Fußmarsch.

An diesem Tag hatte es ein deutsches Finale gegeben, er gegen Michael Stich - und Stich hatte gewonnen. Die Journalisten waren in Mannschaftsstärke da und warteten auf Stich. Ein wenig überrascht waren sie dann doch, als Stich noch nicht da war, und als statt Stich er durch die Reihen schritt und von einem Tablett Schnittchen servierte. Er wirkte gelöst. Hätte er gewonnen, so hieß es damals, dann hätte er vielleicht seine Karriere beendet. Er spielte weiter.

1993 Bogenhauser Hof, München

Mit Prinzessin Stéphanie war er damals nicht zusammengekommen, auch nicht mit der Frau, deren Busen er im Monte Carlo Beach Club so interessiert betrachtet hatte. Bénedicte Courtain war seine erste öffentliche Freundin gewesen, Karen Schultz seine zweite. Dann hatte er Barbara Feltus kennengelernt. Im Frühjahr des Jahres 1993 hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, also reservierte er einen Tisch im "Bogenhauser Hof" in München. Er nannte Barbara stets Barbara, niemals Babs, wie Teile der Presse. Die Bild hatte sie eine Weile sogar "Straps-Babs" genannt, weil ihr zufällig ein paar Bilder von Barbara in Reizwäsche in die Hände und ins Blatt geraten waren, aber das war schnell vorbei.

Er hatte mit dem Pianisten im Lokal ausgemacht, dass dieser auf ein Zeichen "Summertime" spielen würde, weil das Barbaras Lieblingslied war. Das Zeichen gab er, als Barbara auf Toilette ging und sich daher Gelegenheit bot, einen Diamantring in ihrem Whisky-Soda zu versenken. Es dauerte dann zwar eine ganze Weile, bis Barbara sich zu dem Ring vorgetrunken hatte - der Pianist spielte stoisch "Summertime" - , aber als sie ihn fand, waren beide sehr froh. Bogenhauser Hof, Summertime, der Diamantring, Whisky-Soda - besser geht es kaum.

1996, Blakes Hotel, London

Die Illustrierte Bunte ging der Sache auf den Grund. "Das glücklichste Paar Deutschlands" schrieb sie, und sie stellte eine große, nein, die größte Frage des Lebens: "Gibt es tatsächlich die große Liebe?" Es folgte: "Boris und Babs, eine Studie". Die Studie ergab, mehr oder weniger wissenschaftlich untermauert, dass die beiden es geschafft hatten. Sie hatten sie gefunden, die Liebe. Er spielte so gut wie seit Jahren nicht mehr, er hatte die Australian Open gewonnen, zudem das Rasenturnier in Queens, und er hätte vielleicht noch einmal Wimbledon gewonnen, aber gegen Neville Godwin, einen Niemand, hatte er im Tiebreak des ersten Satzes aufgeben müssen. Die Verletzung am rechten Handgelenk stellte sich später als Teilsehnenabriss heraus. Verletzt, als er noch einmal der Beste war. In einem großen Interview, das er im Blakes Hotel gab, sagte er: "Ich glaube nicht, dass der Tod eine Grenze setzt." Ob er an eine Form der Wiedergeburt glaube? "Was wir Erdenbürger treiben, wäre sonst absolut lächerlich", antwortete er.

1999 Nobu, London

Das Nobu ist ein japanisches Lokal, das Robert De Niro gehört. Er trat zum letzten Mal in Wimbledon an, es lief ganz gut, aber es regnete viel. Seine Ehefrau Barbara, sie war schwanger, hatte sich ins Krankenhaus einweisen lassen, weil sie eine Frühgeburt befürchtete, was sich später als Fehlalarm herausstellte.

Ihm war so allein - keine Spiele, keine Frau - ein wenig fad. Im Nobu trank er Bier, hatte Sex mit Angela Ermakova in einem Raum, der als Besenkammer bekannt wurde, dann ging er wieder.

Als der Regen aufhörte, verlor er gegen Patrick Rafter, er sei "zu entspannt" gewesen, sagte er damals. Es war das Ende seiner Karriere als Tennisprofi.

Barbara gebar ihm einen weiteren Sohn. Angela gebar ihm eine Tochter.

2001 ff, Pacha und P1, München

Die Episode mit Frau Ermakova hatte zum Ende der Ehe mit Barbara geführt, sie zog nach Miami. Nach einer kurzen Affäre mit der sogenannten Rapperin Sabrina Setlur vergnügte er sich in der Münchner Disco Pacha mit dem ehemaligen Playmate Heydi Nunez-Gomez. Setlur, die ein Zeichen setzen wollte, trat an selber Stelle mit dem Tänzer Stephen Calloway auf, der allerdings Männer liebt. Wenn er das Pacha betrat, wurde dem VIP-Bereich ein weiterer Bereich hinzugefügt, der Super-VIP-Bereich, das war ganz einfach: Kellner Maurice spannte eine weitere rote Kordel. Der Geschäfts-führer des Klubs erläuterte, die Ab-schleppquote liege bei 100 Prozent. Dass man das Pacha als Pascha ausspricht, wusste er instinktiv.

Es war für ihn allerdings eher eine Zwischenstation. Bald wandte er sich wieder der Münchner Promi-Institution zu, der Disco P1, die von Leuten, die das witzig finden, auch als "Stüberl" bezeichnet wird. 2005 stellte er dort eine Modekollektion vor. Alles hatte er, wie es hieß, selbst entworfen, die Kollektion hieß "BB Retro Court", und die Idee war, dass man sie nicht nur zum Tennisspielen tragen konnte. Es war, unverkennbar, die Kollektion eines Tennisspielers. "Ein Traum ist wahr geworden", sagte er, "in einem wichtigen Jahr: 20 Jahre nach meinem ersten Wimbledon-Sieg." Seine Freundin, die Ballerina Caroline Rocher, begleitete ihn, von Patrice Farameh hatte er sich getrennt. Alle seine Freundinnen nach Barbara sahen aus wie Barbara.

2007, Hippodrom-Zelt, Oktoberfest, München

Zum Abschluss der nach ihm benannten "Oktober Fest Golf Trophy" zeigte er sich mit Sharlely Kerssenberg, genannt Lilly, die aussieht wie Barbara. Er trug Lederhose, sie trug Dirndl.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2008/agfa
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