Süddeutsche Zeitung

Bob-Trainer Manuel Machata:Medaillen aus dem Nichts schaffen

Lesezeit: 3 min

Von Volker Kreisl, München

Das Land ist in dieser Hinsicht vollkommen unberührt. Es gibt niemanden, der einen Bob anschieben könnte. Ein Fahrer, der ganz vorne sitzen und lenken könnte, existiert auch nicht. Selbstredend steht auch nirgendwo einer der verschalten Schlitten herum, geschweige denn eine Bahn, auf der er fahren könnte. In China gibt es von alldem nichts. Es ist ein Traum für einen wie Manuel Machata.

"Das ist sensationell", sagt er: "Du kannst alles so gestalten, wie du es dir vorstellst! Du hast kein vorgegebenes System. Du baust alles selber auf!"

Manuel Machata, 31, der Bobpilot aus Berchtesgaden, ist jetzt Bob-National-Trainer von China, und das erscheint durchaus logisch. Machata hatte schon immer einen eigenen Willen, deswegen wollte er unbedingt Bobpilot werden, obwohl er als ehemaliger Skilangläufer nicht die Statur und auch eher Ausdauer- statt Schnellkraft hatte. Er ist zwar früh Weltmeister geworden, aber am Ende hat es mit der Erfolgskarriere nicht geklappt. Verletzungen, die eigene Langsamkeit und auch Konflikte mit den Verbandschefs haben ihn gebremst. Im Oktober verkündete Machata sein Karriereende, vier Wochen später erklärt er nun, fortan die Chinesen zu trainieren. "Da kannst du richtig was bewegen", sagt er.

Machata und China haben etwas gemein

Machata ist ehrgeizig, und weil die Chinesen das bezüglich ihres Bob-Plans auch sind, steht schon mal das Fundament. Peking veranstaltet im Februar 2022 die Olympischen Winterspiele, da werden sie in manchen Disziplinen Exoten im eigenen Land sein - im Bobfahren aber, das gerne die "Formel 1 des Wintersports" sein möchte, werden keine halben Sachen geplant. Es geht um Technik-Entwicklung, um Tempo und Kraft in blank polierten Karossen, also um viel Prestige. Und deshalb muss Machata nun sehr schnell richtig was bewegen, denn es werden Erfolge erwartet, am besten Medaillen.

Die Spiele sind erst in sechseinhalb Jahren, aber weil sich Chinas Bobteam zuvor qualifizieren muss, hat Machata nur fünf Jahre Zeit. Fünf Jahre, um aus dem Nichts ein Erfolgsteam aufzubauen - das erscheint im Grunde unmöglich. Doch Chinas Olympiastrategen erschien Machatas Konzept wohl am schlüssigsten, weil der Mann aus Berchtesgaden vielleicht den einfachsten und zugleich realistischsten Weg zu diesem unmöglichen Ziel weist.

In seinem Plan kommen teure Investitionen erst später. Geld stünde ja genügend zur Verfügung, aber statt eine Armada der besten Bobs zu kaufen, konzentriert sich Machata erst einmal auf die Schlüsselposition: die künftigen Pilotinnen und Piloten. Am einfachsten wäre es, einen chinesischen Rodler umzuschulen, aber die gibt es natürlich auch nicht.

Machatas Lenker können auch nicht einfach auf Rallye-Pisten oder Motorrad-Strecken gecastet werden, denn Motorsportlern fehlt meist die Schnellkraft zum Anschieben eines Bobs, sie haben ja ein Gaspedal. Schnellkraft kann man kaum lernen, wie Machata sehr gut weiß, Lenken schon eher. Deshalb wird zunächst nach guten Sprintern in anderen Sportarten Ausschau gehalten. Fürs Bobfahren kommen drei in Betracht: Leichtathletik, Gewichtheben und Basketball.

"Helfer in China machen in diesen Wochen überall Werbung", sagt Machata. Den Kreis der Kandidaten will er dann auf rund 20 reduzieren und diese mit nach Nordamerika nehmen. Auf einfacheren Bahnen wie in Calgary setzt Machata die Besten in ihre ersten Gefährte, vermutlich Ein-Mann-Bobs, wo sie wohl vom Juniorenstart aus versuchen, erstmals die Ideallinie zu treffen, ohne zu stürzen.

"Sie müssen geil aufs Fahren sein"

Machata muss dann in den Vorführungen denjenigen ausfindig machen, der sich in sechs Jahren zum unerschrockensten und feinfühligsten Piloten entwickelt. Das ist nicht so einfach, sagt er. "Denn oft ist es so, dass die Guten schnell stagnieren, und die am Anfang Schwachen sind später top." Er müsse nach Gefühl entscheiden, sagt Machata, nach dem was er so im Weltcup beobachtet hat an Anfängern und Nachwuchsfahrern. Und ein Kriterium sei ja feststellbar, sagt Machata, eines, das er gut erkenne. Seine Anfänger dürfen "keine Angst haben, sie müssen richtig Lust auf Tempo haben. Auf Deutsch: Sie müssen geil aufs Fahren sein".

Bald wird in dem unberührten Land die erste Anschubbahn stehen und eine Eis-Strecke zum Trainieren. Die olympische Bob- und Rodelbahn in Yanqing, 75 Kilometer nordöstlich von Peking, muss spätestens im Winter 2021 fertig sein. Und wenn alles gut läuft, dann werden die Talente, die Machata nun aussucht und an den Lenkseilen weiterbildet, Fahrgefühl entwickeln, wie geplant andere schwächere Bobs hinter sich lassen und ihren Coach nicht enttäuschen, für dessen Stelle sonst womöglich ein anderer gecastet wird. Denn so schön es ist, ganz allein etwas Neues aufzubauen: Im Sport wird man eben doch regelmäßig an Leistungen gemessen, vor allem in China.

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SZ vom 05.11.2015
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