Süddeutsche Zeitung

Biathlon-WM:Ein Hopser nach den Leiden

Lesezeit: 3 min

Sprint-Gold 2011, Olympiasieg 2018, nun Weltmeister im Einzel: Arnd Peiffer ist zum besten deutschen Biathleten avanciert. Auch mit bald 32 hat er noch Spaß daran, sich zu quälen.

Von Saskia Aleythe, Östersund

Eine Frage hat sich Arnd Peiffer in den vergangenen zwölf Monaten besonders oft anhören müssen: Sind Sie nach dem Olympiasieg überhaupt noch motiviert für eine neue Biathlon-Saison? Mit 30 Jahren war er in Südkorea zu Sprint-Gold gestürmt, da muss wohl schon mal nachgehorcht werden, ob danach nicht auch ein feines Karriereende lockt. "Diese Frage habe ich nie ganz verstanden", sagte Peiffer nun in Östersund: "Wenn ich das alles nur wegen eines Erfolgs machen würde, dann wäre ich nie so weit gekommen."

Nein, Herr Peiffer hat noch nicht genug. Warum auch? Es gibt im Biathlon immer Neues zu entdecken, zum Beispiel wie es sich anfühlt, Weltmeister im Einzel zu werden. 1999 war das Sven Fischer als vorerst letztem Deutschen gelungen, nun hat das Peiffer in Östersund mal ausprobiert. Und wer den 31-Jährigen dabei beobachtete, der stellte fest: Dieses WM-Gold tat ihm ziemlich gut. Weil es dieser harte Wettbewerb war, in dem er triumphierte, in diesem fiesen Einzel über 20 Kilometer - dem gegensätzlichsten Format zum Sprint. 2018 Olympiasieger im Sprint, 2019 Weltmeister im Einzel: Peiffer ist damit ein kompletterer Biathlet geworden. Oder nicht? Er finet: "Zwischen den Medaillenrängen und Platz 15 liegt nicht so viel, wie es manchmal erscheint."

Die Medaillenvergabe in Östersund ist liebevoll gestaltet, um 20.19 Uhr geht's los, in Anlehnung an die Jahreszahl dieser WM. Ein Herz aus Eiskristallen wird ans Rathaus projiziert, davor drehen die Medaillengewinner eine Runde vorbei an den Fans, am Mittwochabend auch Peiffer: Er winkte ausgelassen wie selten, klatschte mit dem Publikum ab, dann ein kräftiger Hopser hinauf aufs Podest. "Ich verabscheue ein bisschen das Einzel in Östersund, weil das wirklich eine harte Runde ist", sagte er, "aber man muss es ja nicht immer lieben, um eine gute Leistung zu bringen." So spricht wohl einer, der sich gerade über die längste Distanz im Biathlon gequält hat, nicht unbedingt mit dem tauglichsten Körper dafür: Mit 1,85 Meter gehört Peiffer zu den größten Athleten und muss mehr Masse die Berge hinaufschleppen, die in Östersund auch noch besonders gemein sind. Doch der Mann, der Biathlon in Trefferbildern und Schneefeuchten lebt, hatte dafür natürlich einen Plan.

"Der Schlüssel ist, ein Tempo zu finden, mit dem man nicht zu viel Zeit verliert auf die Besten, aber nicht so fertig ist beim dritten, vierten Schießen, dass man nichts mehr auf die Reihe kriegt." Die Mischung daraus sei ihm "ganz gut gelungen", sagte Peiffer, vor dem letzten Schießen reduzierte er das Tempo, um auch bei der letzten Schießeinlage fehlerfrei zu bleiben. "Ich habe versucht, mich bewusst darauf einzustimmen: Okay, es wird jetzt schwer, es wird wackeln." Wenn die Konzentration sinkt und die Beine zittern, wird es sekündlich komplizierter, die Scheiben zu treffen. "Das letzte Schießen ist meistens schwieriger als die drei vorhergehenden zusammen. Wenn man das hinkriegt, ist man weit vorne", sagte auch Bundestrainer Mark Kirchner. Peiffer gelang genau das: 100 Prozent Trefferleistung brachte ihm Gold. Nur der Norweger Vetle Sjaastad Christiansen traf wie er alle 20 Scheiben - die restlichen 96 Athleten, die ins Ziel kamen, schossen mindestens einen Fehler. Einer zielte sogar zwölf Mal daneben: Der Ungar Soma Gyallai aus der Provinz mit dem klangvollen Namen Gyöngyössolymos.

Sauber zu schießen ist im Einzel wegen der drohenden Strafminuten ja besonders wichtig. Warum ihm das besser gelang als all den anderen Favoriten im Feld? "Ich glaube, wer 17 von 20 treffen kann, der kann auch potenziell 20 von 20 treffen", relativierte Peiffer. Bei schwierigen Windverhältnissen erwischte er "keine Wahnsinnsböen", "das Quäntchen Glück braucht man auch", sagte Kirchner. Und dass das Glück den Tüchtigen gehört, bestätigte Peiffer ebenso: Auf der letzten Runde, nach all den schmerzhaften Anstiegen, die da schon in den Beinen steckten, brachte er noch eine sehr gute Zeit ins Ziel. Er orientierte sich am Franzosen Simon Desthieux, der vor ihm lief, "da habe ich wirklich gelitten". Bis zum Ende gleichauf bleiben konnte Peiffer nicht, doch als die Uhr stoppte, hatte der Deutsche die neuntbeste Laufzeit insgesamt auf die Strecke gebracht. Und die zweitbeste letzte Runde, fünf Sekunden hinter Desthieux, dem besten Läufer an diesem Tag. Er wurde mit drei Fehlern noch Sechster. Jemand wie Peiffer weiß jedenfalls, an wen er sich heften muss, er ist ein Freund der Statistiken und Zahlen und überhaupt schon seit zehn Jahren im Weltcup dabei. Sofort dachte er in Östersund an das WM-Einzel vor sieben Jahren in Ruhpolding, als er sich im letzten Schießen mit zwei Fehlern noch um Gold brachte und Siebter wurde. "Das wurmt mich heute noch. Deswegen freue ich mich, dass es heute mal geklappt hat." Abseits von 14 Staffelmedaillen ist das sein dritter großer Titel neben Sprint-Gold 2011 und dem Olympiasieg vor einem Jahr. Im deutschen Männerteam ist Peiffer so auch zum Besten avanciert. Mit der Mixed-Staffel hatte er im ersten Rennen schon Silber gewonnen, nun die erste deutsche Männer-Medaille in Östersund. Am Montag wird er 32 Jahre alt.

Wer sich noch fragte, wie hoch seine Motivation für weitere Großtaten sei, musste nur am Mittwochabend genau hinhören. "Ich mache diesen Sport einfach gern. Und solange ich ihn mache, mache ich ihn auch vernünftig und nicht halbherzig", sagte Peiffer also, "ich habe auch keine Probleme, mich im Mai aufs Rennrad zu setzen und 120 Kilometer zu fahren. Klar tut das weh. Manchmal hat man keine Lust. Aber das gehört dazu."

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Quelle:
SZ vom 15.03.2019
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