Süddeutsche Zeitung

Belgiens Radja Nainggolan:Das geheimste Talent der EM

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Von Birgit Schönau

Sein erstes EM-Spiel wird Radja Nainggolan gegen einen Fan bestreiten. Belgien tritt am 13. Juni in Lyon gegen die Squadra Azzurra an - und Italiens Trainer Antonio Conte umwirbt Nainggolan seit Wochen heftig für den FC Chelsea. Dort tritt Conte nach dem Turnier als Chefcoach an und allzu gern hätte er den Belgier in seinem Kader. Denn Nainggolan ist ein taktisch extrem versierter, sehr angriffslustiger Mittelfeldmotor, der vor keinem Gegner halt- macht und auch nach dem Schlusspfiff noch weiterrennen würde.

Ein kompaktes Kraftpaket, gerade mal 1,76 Meter groß, robust und wendig. Von ihm bleiben eher Zweikämpfe in Erinnerung als Tore. Aber auch seine Freistöße sind gefürchtet in der Serie A, wo der Belgier mit indonesischem Vater seit drei Jahren für den AS Rom spielt. Nainggolan hat seine gesamte Profikarriere in Italien verbracht. Bereits mit 18 spielte er für den Zweitligisten Piacenza, es folgten Jahre beim sardischen Klub Cagliari. Viele Kilometer und Kämpfe weiter steht immer noch die erste Trophäe aus. Nainggolan ist inzwischen 28 und hat immer noch nichts gewonnen. Das soll sich in Frankreich endlich ändern.

Wenn Belgien, das in der bizarren Fifa-Weltrangliste Platz zwei hinter Argentinien belegt, als Geheimfavorit für die EM gehandelt wird, so ist Nainggolan wohl das geheimste Talent des Turniers. 17 Einsätze für das Nationalteam haben bisher nicht ausgereicht, um ihn international wirklich bekannt zu machen. Dabei ist er nicht zu übersehen: der Körper quasi von Kopf bis Fuß mit angeblich 50 Tattoos verziert, auf dem kurz geschorenen Haupt thront ein schriller, platinblonder Hahnenkamm. Der ganze Mann sieht derart gefährlich aus, dass Hotelgäste in seiner Heimatstadt Antwerpen unlängst die Polizei alarmierten, weil sie Nainggolan mit einem gesuchten Terrorverdächtigen verwechselten.

Stadtbekanntes Feierbiest in Rom

Antwerpen ist eine weltoffene Stadt mit großer Handelstradition und multikultureller Bevölkerung. Hier wuchs Nainggolan mit Zwillingsschwester Riana, die ebenfalls als Profi in Rom kickt, in wirtschaftlich prekären Verhältnissen auf. Er fühlt sich als Belgier, spricht außer Flämisch und Italienisch auch Französisch und Englisch und fährt, so oft er kann, nach Indonesien, "weil ich auch dort Wurzeln habe".

In Rom hat sich der Kämpfer Nainggolan einen Ruf als stadtbekanntes Feierbiest erfochten: "Ich habe keine Lust, jeden Abend zu Hause zu sitzen", rechtfertigt er sich - und prahlt, jeden angesagten Schuppen zu kennen. Man gönnt sich ja sonst nichts! Über die sozialen Netzwerke lässt Nainggolan alle, die nicht live dabei sind, an seinem Dolce Vita teilhaben. Und zeigt sich zum Beispiel mit großen Bierkrügen. Bis 40 wolle er sowieso nicht spielen, sagt er, lieber genieße er das Leben jetzt. Das wird ihm verziehen - fast immer.

Einmal, als die Roma mit Pauken und Trompeten und nicht zuletzt durch Nainggolans Patzer ein Heimspiel verlor, tönte dem Belgier von den Rängen der Chor entgegen: "Wir sehen uns in der Disco!" Nainggolan hat dann die Arme ausgebreitet und den schiefen Fangesang spontan dirigiert. Leben und leben lassen - beim FC Chelsea des strengen Signor Conte wäre damit allerdings schnell Schluss.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2016
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