Süddeutsche Zeitung

Behindertensport:Paralympischer Appell

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Der Deutsche Behinderten­sportverband fordert nun auch die Verschiebung der Olympischen und der Paralympischen Spiele, will aber zunächst die Vorbereitungen fortsetzen.

Von Sebastian Fischer, München

Die Kugelstoßerin Birgit Kober hat in den vergangenen Tagen in der Tiefgarage trainiert. Wie genau, das hat die 48 Jahre alte Münchnerin, Paralympicssiegerin 2012 und 2016, in ihrem Beitrag in den sozialen Netzwerken nicht geschildert, es ging ihr um etwas anderes: So könne es nicht weitergehen. Es brauche eine vernünftige Entscheidung, schrieb sie: die Verschiebung der Olympischen und damit auch der Paralympischen Spiele. Seit Montag vertritt auch der Deutsche Behindertensportverband (DBS) offiziell diese Position.

"Nach der erneuten Zuspitzung der weltweiten Corona-Krise sind wir der Auffassung, dass eine Verlegung der Paralympischen Spiele alternativlos ist", wird DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher in einer Mitteilung des Verbands zitiert. Man habe einen schriftlichen Appell an das Internationale Paralympische Komitee (IPC) gestellt, in dem ausdrücklich eine Verschiebung gefordert wird. Die Entscheidung müsse "unverzüglich herbeigeführt werden. Wir alle brauchen Planungssicherheit, sowohl unsere Athleten als auch wir als Verband."

Mit der Unverzüglichkeit ist es aber wie in der olympischen auch in der paralympischen Sportwelt so eine Sache. Am Sonntagabend hatte das IPC bekannt gegeben, das Internationale Olympische Komitee (IOC) in seiner Entscheidung zu unterstützen, Szenarien einschließlich einer Verschiebung zu untersuchen - innerhalb der nächsten vier Wochen. Das IPC, in der Vergangenheit nicht selten IOC-kritisch, hat sich unter dem 2017 gewählten Präsidenten Andrew Parsons dem Olympia-Verband wieder deutlich angenähert. Bis 2032 gilt ein im Jahr 2018 verlängerter Vertrag, der unter anderem sicherstellt, dass die Veranstalter von Olympia auch weiterhin die Paralympics organisieren. Die Paralympics in Tokio sollen vom 25. August bis 6. September stattfinden.

Kugelstoßer Kappel nennt Boykottdrohungen "super mutig"

Zwar sagte IPC-Präsident Parsons laut Mitteilung, dass es wichtig sei, "dass alle, einschließlich der Sportler, zu Hause bleiben, um die weitere Ausbreitung dieser schrecklichen Krankheit zu verhindern". Aber er sprach auch davon, dass die nächsten vier Wochen Zeit bieten würden, "um festzustellen, ob sich die globale Gesundheitssituation verbessert".

Beim DBS gehen sie angesichts der vielerorts deutlichen Forderungen nach einer Verschiebung nicht davon aus, dass es wirklich noch vier Wochen dauert. Einer Ankündigung, keine Athleten zu entsenden, wie sie Kanada, Australien und Norwegen machten, wollten sie sich dennoch nicht anschließen. Man werde bis zu einer endgültigen Verlegung die Vorbereitungen fortsetzen, auch wenn die Fairness der Wettbewerbe längst nicht mehr gegeben sei. Kugelstoßer und Para-Athletensprecher Niko Kappel nannte die Boykott-Ankündigungen am Montag "super mutig". Er sagte: "Wir profitieren jetzt davon."

Kappel, 25, gehört zu jenen Athleten, die sich seit Tagen deutlich positionieren. "Wo bitte ist die gesellschaftliche Verantwortung des Weltsports?", fragte er in einem Instagram-Post am Donnerstag. Er will auch einen Aspekt nicht ausschließen, der die Paralympics weit mehr als Olympia betrifft: "Es gibt bestimmt Para-Sportler, die zur Risikogruppe gehören." Doch er möchte damit nicht begründen, dass die Spiele verschoben werden müssen. Die wahre Begründung sei viel einfacher: Der Sport sei gerade zweitrangig. Und umso länger die Entscheidung dauere - Kappel plädiert für eine Verschiebung ins Jahr 2021 -, desto größer sei der Schaden für das Image des Sports und für die Sportler.

Auch die Kugelstoßerin Birgit Kober äußerte sich am Montag noch einmal. Sie teilte auf Facebook die Nachricht, dass nun auch Japan die Verschiebung der Spiele in Betracht ziehe, mit den Worten: "Endlich ein Lichtblick!"

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SZ vom 24.03.2020
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