Süddeutsche Zeitung

Bayern gegen Wolfsburg:Solche Joker muss man haben

Lesezeit: 4 min

Von Tim Brack

Jupp Heynckes hat seine krankheitsbedingte Abstinenz gegen Schalke offenbar genutzt, um sich ein paar Gedanken über die Zukunft zu machen. Nicht etwa über die eigene, das hätte zwar Uli Hoeneß gefallen, aber über die mittelfristige Zukunft der Mannschaft des FC Bayern. Auch das dürfte im Grunde Hoeneß gefallen.

Der Bayern-Trainer muss in der Zeit seiner Grippe zu dem Schluss gekommen sein, dass so eine Pause nicht nur ihm guttut, sondern auch einigen seiner Stammspieler nützen könnte, wenn es am Dienstag in der Champions League gegen Besiktas Istanbul geht. Gegen den VfL Wolfsburg setzte der 72-Jährige deswegen auf kompromisslose Rotation. Auf acht Positionen veränderte er seine Startelf im Vergleich zum 2:1-Sieg gegen die Schalke - es spielte aber nach gesicherten SZ-Informationen immer noch der echte FC Bayern in Wolfsburg.

Nur die Routiniers Franck Ribéry, Arjen Robben und der Fast-Routinier Sven Ulreich überstanden die Umgestaltungsarbeiten, die beim 2:1 (0:1) gegen einen engagierten VfL fast schief gegangen wären. Sandro Wagner (64. Minute) und Robert Lewandowski (90.+1/Elfmeter) retteten Heynckes' Idee und den Sieg.

Die Wechselfreude des Trainers führte zunächst dazu, dass die Münchner etwas instabil agierten. Schon nach acht Minuten passierte etwas, das der FC Bayern gar nicht mehr so gut kennt: Man geriet in Rückstand. Die Wolfsburger führten eine Ecke kurz aus, Yunus Malli schlug den Ball auf den zweiten Pfosten, wo Juan Bernat zwar nah dran war an seinem Gegenspieler Daniel Didavi, aber aufgrund seiner Körpergröße doch zu weit weg, um die Flanke abzuwehren. Der Wolfsburger Mittelfeldspieler köpfelte fast ohne Gegenwehr zum 1:0 ein.

Einige VfL-Fans verpassten derweil den Führungstreffer ihrer Mannschaft. In Anlehnung an das Gründungsdatum ihres Klubs im Jahr 1945 waren sie aus Protest gegen die Entwicklung des VfL erst in Minute 19:45 ins Stadion geströmt. Auf dem Rasen herrschte zu diesem Zeitpunkt ähnlicher Andrang. Die Wolfsburger versperrten das Mittelfeld mit fünf Spielern so geschickt, als wollten sie nicht nur die Bayern ausschließen, sondern auch jeden Zweifel an ihrem Trainer Martin Schmidt, der zuletzt unter Druck geraten war.

Die neu formierte Mittelfeldachse der Bayern aus Sebastian Rudy, Corentin Tolisso und Thiago, der sein erstes Bundesligaspiel seit dem 4. November 2017 bestritt, hatte große Probleme, durch dieses Geflecht zu kombinieren. Der Kontakt zu Sturmspitze Sandro Wagner riss aufgrund der Wolfsburger Störungen wiederholt ab. Wagner blieb ein Angreifer im Funkloch. In der ersten Hälfte kamen die Münchner nur einmal gefährlich vors Tor, als ein Freistoß von Arjen Robben in den Strafraum flog und Niklas Süle den Ball noch leicht touchierte. Doch VfL-Torhüter Koen Casteels war zur Stelle.

Für Aufregung sorgten die Münchner nur noch einmal in Person von Ribéry (34. Minute). Der Franzose versuchte, Wolfsburgs Renato Steffen abzuschütteln, wurde ihn aber nur durch einen Griff hinter sich los. Ribérys Hand landete dabei im Gesicht des VfL-Winterzugangs. Schiedsrichter Sascha Stegeman ließ zunächst weiterlaufen, schaute sich die Szene auf Anraten seines Videoassistenten dann doch auf dem Bildschirm an. Ribéry bekam Gelb - was so mancher auch anders entschieden hätte.

In der zweiten Hälfte bemühten sich die Bayern, mehr aus ihren 78 Prozent Ballbesitz zu machen. Ein paar zusätzliche Pässe landeten in den gefährlichen Zonen in der Wolfsburger Abwehr, Wagner freute sich über die bessere Kommunikation und kam in der 53. Minute im Strafraum zum Abschluss, Casteels lenkte den Schuss nach vorne ab. Den zweiten Ball hätte sich gerne Tolisso geschnappt, doch Wolfsburgs Steffen behinderte ihn durch ein Foul. Schiedsrichter Stegemann zeigte zum Elfmeterpunkt.

Arjen Robben riss Ball und Verantwortung an sich, um seine Mannschaft zurück ins Spiel zu hieven. Sein Schuss ins linke Eck war aber eher eine Einladung für Wolfsburg-Torhüter Casteels den Ball zu halten, als ein Zeichen an seine Mitspieler. Eine Trotzreaktion brachte der Fehlversuch aber doch hervor: Am trotzigsten war selbstredend Arjen Robben.

Der Niederländer profitierte von einem gewonnen Zweikampf von Thomas Müller, der in der 62. Minute für Thiago gekommen war. Der Nationalspieler schüttelte nur zwei Minuten später Maximilian Arnold im Mittelfeld ab und schickte Robben die Linie auf der rechten Seite entlang. Aus der Wut des Niederländers über den verschossenen Elfmeter wurde eine kluge Idee geboren.

Statt seinen patentierten Robben-Move in die Mitte zu vollführen, sprintete er in Richtung Grundlinie (!) und benutzte seinen rechten Fuß (!!) für eine Flanke. Sandro Wagner köpfelte zum 1:1 ein (64.). Der Stürmer küsste das Bayern-Wappen - als wäre er nie weg gewesen. Wagner, der Lewandowski-Ersatz mit dem unübertroffenen Selbstbewusstsein, auch diese Geschichte sollte hier noch zur Vollendung kommen. Zunächst hatte der Nationalstürmer aber Interesse an einem weiteren Kopfball-Treffer. Doch sechs Minuten später flog sein Versuch knapp übers Tor.

Die Bayern prüften die Stabilität der Wolfsburger nun mit mehr Wumms und Präzision, sie wollten das Spiel noch drehen. Trainer Jupp Heynckes gab ihnen dafür als "Joker" David Alaba (für Ribéry, 66.) und Robert Lewandowski (für Wagner, 79.) an die Seite. Entscheidend dann war aber wieder Robben. Der 34-Jährige lief dem 15 Jahre jüngeren Gian-Luca Itter, der ihm vor allem in der ersten Hälfte viel Ärger gemacht hatte, davon.

Der Linksverteidiger packte Robben im Strafraum am Arm, um ihn aufzuhalten. Robben fiel, wieder gab es Elfmeter. Diesmal trat Lewandowski an. Der Pole wählte das rechte Eck, erneut berührte Casteels den Ball, doch aufhalten konnte er ihn nicht. So blieb es am Ende ein knapper Bayern-Sieg, der auch daran lag, dass die Münchner jetzt zwei Klasse-Stürmer zur Verfügung haben: Wagner, der diesmal zunächst Lewandowski vertrat - und schließlich der Pole höchstselbst.

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