Süddeutsche Zeitung

Bayer Leverkusen:Ein Luxuskader trifft auf die harte Pokalrealität

Lesezeit: 3 min

Bayer Leverkusen hatte sich in der Transferphase nochmals verstärkt. Trotzdem verliert das Team mit 3:4 beim Drittligisten SV Elversberg. Trainer Gerardo Seoane muss bis zum Bundesligastart in Dortmund einige Fragen klären.

Von Felix Haselsteiner

Gerade einmal zwei Minuten dauerte es beim Pflichtspiel-Auftakt am Samstag, dann war es schon vorbei mit der Leverkusener Bequemlichkeit. Von einer "Luxussituation" hatte Trainer Gerardo Seoane vor der ersten DFB-Pokalrunde noch gesprochen, und angesichts der aktuellen Transferperiode (ohne Weggänge) ließe sich das schöne Wort gut und gerne auf den gesamten Leverkusener Kader übertragen. Seoane meinte allerdings speziell seine Defensive. Weil dort zuletzt Odilon Koussounou und Edmond Tapsoba aus Trainersicht "so gut" in der Innenverteidigung harmoniert hatten, nahm Nationalspieler Jonathan Tah im Elversberger Stadion an der Kaiserlinde auf der Ersatzbank Platz.

Leverkusen tritt in der Champions League an und gilt zumindest manchen großen Optimisten in der Bundesliga als Meisterschaftskandidat. Die SV Elversberg ist gerade erst aus der Regionalliga Südwest in die dritte Liga aufgestiegen. Insofern war zu vermuten, dass die Innenverteidigung von Bayer nicht wirklich im Zentrum dieses Spiels stehen würde. Doch die erste Pokalrunde straft Favoriten, die vorher von Luxus reden, gerne Lügen. Seoanes Mannschaft verlor in Elversberg 3:4 (2:3), es war sogar ein überaus verdientes Ergebnis für den Außenseiter - und eines, das ein paar Fragen speziell zur Leverkusener Defensive aufwirft.

Nach nicht mal 100 Sekunden konnte Elversbergs Mittelfeldspieler Jannik Rochelt mit beachtlicher Leichtigkeit durch Bayers Viererkette spazieren und zum 1:0 abschließen. Der frühe Führungstreffer für die SV schien selbst die Elversberger auf dem Feld etwas zu überraschen. Zumindest antwortete Leverkusen schon drei Minuten später, als SV-Torwart Nicolas Kristof einen zentralen Schuss von Adam Hlozek nicht abwehren konnte. Der tschechische Stürmer-Zugang gilt ja als ein Beleg dafür, dass sich Leverkusen im Vergleich zur vergangenen Saison personell nochmals verbessert hat. Doch Elversberg fand seine Courage schnell wieder: Stürmer Kevin Koffi erzielte in der 17. Minute per Elfmeter das 2:1, zuvor hatte Charles Aranguiz im Strafraum robust gefoult.

Der Chilene brachte Bayer dann erneut zurück ins Spiel und erzielte in der 30. Minute das 2:2. Doch gerade, als es den Anschein hatte, als würde Leverkusen die Favoritenrolle doch noch annehmen und Torjäger Patrik Schick in dieser Phase den Innenpfosten traf, da ließ sich die Abwehr des Bundesligisten abermals auf banale Art und Weise ausspielen: Ein Steilpass auf Koffi reichte aus, der legte den Ball zu Luca Schnellbacher quer - 3:2. Das Fazit zum Spiel von Leverkusens Mittefeldkämpfer Robert Andrich lautetet kurz und bündig: "Das war heute von Anfang an eine Katastrophe."

Die Saarländer aus Liga drei, seit 2018 trainiert vom früheren Mönchengladbacher Bundesliga-Profi Horst Steffen, 53, traten auch in der zweiten Halbzeit mutig und erstaunlich spielstark auf. Und nachdem sich die Werkself vergeblich um den dritten Ausgleichstreffer des Tages bemüht hatte, düpierte Elversberg deren Innenverteidigung auch noch mittels einer simplen Flanke: SV-Kapitän Kevin Conrad stieg in der Mitte höher als das "Luxus"-Duo Tapsoba und Koussounou und erzielte das vorentscheidende 4:2 (72.). "Mit so vielen Gegentoren schaffst du nix", schimpfte Torwart Lukas Hradecky, "das sah schrecklich aus." Der Bayer-Keeper hielt in seinem Zorn nach dem Ausscheiden eine Grundsatzrede, mit der er die Einstellung der Kollegen in Frage stellte. "Jeder muss in den Spiegel gucken", empfahl Hradecky, "das habe ich schon tausendmal gesagt. Aber wir lernen nicht daraus und denken, wir wären die Tollsten."

Ganz anders klangen die Siegertöne, ein "Oh, wie ist das schön"-Gesang hallte durch das Elversberger Stadion, das eine charmante Kulisse für die Pokal-Überraschung bot. Elversberg besitzt zwar nicht die Tradition seiner regionalen Nachbarn 1. FC Saarbrücken oder FC 08 Homburg, und erst vor wenigen Wochen stand der Klub bundesweit negativ in den Schlagzeilen, weil sich beim Drittliga-Aufstieg eine Art "Mini-Gijon" abgespielt hatte - ein Nichtangriffspakt mit Gegner FSV Frankfurt, der durch das 1:1 am vorletzten Spieltag nicht abstieg, während Elversberg das Remis zur Meisterschaft reichte. Aber den guten Ruf, eine für Favoriten unangenehme Pokalmannschaft zu sein, genießt Elversberg schon länger: 2020 schied St. Pauli im Saarland aus, im vergangenen Jahr brauchte dort der Bundesligist Mainz 05 nach 120 Minuten zehn Elfmeter, um weiterzukommen.

"Die Leistung war heute in allen Belangen ungenügend", rügt Bayer-Trainer Seoane

Leverkusen, und das war das besonders Alarmierende bei dieser Blamage, war trotz des 3:4-Anschlusstreffers durch Schick (89.) ein gutes Stück davon entfernt, in eine Verlängerung zu kommen. Ein ums andere Mal wirkte die Defensive unsicher, und der viel gelobte, weil wenig veränderte Erfolgskader der Vorsaison fand auch spielerisch kaum Lösungen. "Wir sind enttäuscht über das Resultat und die gesamte Leistung. Wir haben nicht gut gespielt - weder offensiv noch defensiv. Die Leistung war in allen Belangen ungenügend", sagte Seoane.

Vor dem Ligastart am nächsten Samstag - gleich mit dem Topspiel gegen Borussia Dortmund- sind also Fragen offen, die sich vor allem an den Trainer richten.

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