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Basketball:Wilt & ich

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Der amtierende MVP spielt wie der neue MVP: James Harden legt eine der besten Punkte-Serien der NBA-Historie hin. Doch selbst er kann seine Mannschaft nicht immer alleine auf den Schultern tragen.

Von Fabian Dilger, Houston/München

Zahlen bleiben immer schlecht im Gedächtnis, deswegen zuerst einmal ein Name: Wilt Chamberlain. Einer der besten Spieler, der jemals den Basketball gedribbelt hat, mit diversen Rekorden, darunter die meisten Punkte, die jemals ein Spieler in einem einzelnen Spiel geworfen hat. Eine Legende. In ähnlichen Sphären bewegt sich James Harden zurzeit.

Der 29-jährige Guard von den Houston Rockets braucht zwar noch einige Zeit, Punkte und Titel zum Legenden-Status. Aber Harden spielt derzeit auf einem solchen Level, dass er in einer Kategorie alle anderen außer Chamberlain hinter sich lässt. Zurzeit steht Harden bei 18 Spielen, in denen er 30 oder mehr Punkte erzielt hat. Nicht insgesamt. Sondern in direkter Serie. Der Einzige, der noch längere Serien vorweisen kann: Wilt Chamberlain - nur hat der letztmals 1973 gespielt.

James "The Beard" Harden, der seinen Spitznamen einem ebenfalls rekordverdächtigen Rübezahl-Bart verdankt, punktet zurzeit auf einem absurd hohem Level. Jetzt doch ein paar Zahlen. Vor kurzem holte Harden sich 57 Punkte im Spiel gegen die Memphis Grizzlies; und im nächsten Spiel dann noch einmal 58 Punkte gegen die Brooklyn Nets. Der Letzte, der etwas Ähnliches geschafft hat: Klar, Wilt Chamberlain. 1962 übrigens, als die Hosen der Basketballer noch so kurz waren wie Hardens Bart lang ist. "Geht gerade durch die Decke" - so hoch sei sein Selbstvertrauen zurzeit, sagte Harden.

Es ist keine unerwartete Leistungsexplosion, die James Harden auf einmal rausfeuert. Der Kalifornier spielt seit 2012 in Houston und hat sich dort zu einem der Top-Spieler der Liga entwickelt. Mit dem US-Team ist er zwei Mal Olympiasieger geworden. Harden hat eine solide Dreierquote, einen explosiven Zug zum Korb und ist ein sicherer Freiwurf-Schütze. Besonders wenn man so viele Fouls ziehen kann wie Harden, hilft das, die Punktezahl nach oben zu schrauben. Das wird ab und an auch kritisch beäugt. Die Schiedsrichter-Pfiffe, die Harden für sich erhält, wenn er aggressiv zum Korb zieht, kommen zu leicht, sagen manche.

Lässt man ihm zu viel Raum, trifft er; greift man an, zieht Harden Fouls

"The Beard" hat aber ein Selbstvertrauen, genauer: eine Selbstgewissheit, die mit robust noch zurückhaltend beschrieben ist. Solche Mäkeleien prallen an Hardens Ego direkt ab. Er selbst meint eher: Die Gegner können mich einfach nicht stoppen. "Ich habe defensiv alles Mögliche gesehen dieses Jahr. Wirklich alles Mögliche", sagte Harden dem Houston Chronicle. Das Problem für Verteidiger: Lässt man Harden zu viel Raum, dann trifft er seine Würfe, ist man zu nah an ihm dran, riskiert man das Foul.

Vergangenes Jahr wurde Harden für seine Leistungen schon zu Recht belohnt: MVP, der wertvollste Spieler der Saison 2017/18. Im US-Sport sind solche individuellen Auszeichnungen wichtig. Harden spielt derzeit auch wie der nächste MVP. Die fast surreale Konstanz der vergangenen Wochen sticht heraus. Dazu zwingt ihn in gewisser Weise auch die Situation seiner Mannschaft. Harden muss Spiel für Spiel alleine Punkte-Orgien abfeiern, um die Rockets zu Siegen zu führen, die sie für den Einzug in die Playoffs benötigen. Denn der andere Star-Spielmacher der Rockets, Chris Paul, hat sich vor Weihnachten verletzt. Der Schweizer Center Clint Capela fällt mit einem lädierten Daumen ebenfalls noch wochenlang aus. Derzeit ist es also Hardens alleinige Aufgabe, die Rockets anzuführen.

Zuletzt genügten seinem Team 58-Harden-Punkte nicht zum Sieg

Das sieht man auch an der Spielzeit. Harden steht die meisten Minuten aller NBA-Spieler auf dem Feld. "Das ist kein Druck. Ich tue das für meinen Lebensunterhalt. Ich habe meinen Spaß dabei", sagt Harden dazu, noch eine Antwort aus der Kategorie robustes Selbstvertrauen. Aber manchmal kommt auch ein MVP an seine Grenzen: Das 58-Punkte-Spiel gegen Brooklyn verloren die Rockets noch in der Verlängerung, obwohl Harden alleine mehr als ein Drittel der Rockets-Punkte besorgt hatte.

Die Playoffs zu erreichen, sollte für die Rockets trotzdem normalerweise kein Problem sein. Was sich dann in der K.o.-Runde abspielt, schon eher. In der vergangenen Saison scheiterte ein Rockets-Team, das stärker besetzt war, am Serienmeister Golden State Warriors, die sich eine fast schon ungehörige All-Star-Startformation zusammengekauft haben - und deswegen auf dem Papier noch unangreifbarer scheinen.

Will James Harden aber irgendwann in die Riege der Legenden aufsteigen, dann reichen individuelle Titel nicht. Dann müssen NBA-Meisterschaften her. Und in der entscheidenden Jahreszeit könnte James Harden dann wegen der bewältigten Minuten körperlich ausgebrannt sein, unken Experten. Houston-Trainer Mike D'Antoni bleibt derzeit noch gelassen. Schließlich kommen die Verletzten ja bald wieder zurück und helfen Harden, sagte er dem Chronicle nach dem Nets-Spiel: "Wir werden versuchen, seinen Tank wieder aufzufüllen. Er ist 29. Er ist auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit."

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SZ vom 20.01.2019
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