Süddeutsche Zeitung

Basketball:Gekippt in 100 Sekunden

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Der FC Bayern kommt im ersten Finalspiel um die Meisterschaft mit einem knappen Sieg davon. Die unterlegenen Berliner üben lieber Selbstkritik als Schiedsrichterschelte.

Von Joachim Mölter, München

Vladimir Lucic gehört zu den Typen, die man im Zweifelsfall lieber in seiner Mannschaft hat. Zum einen, weil der Serbe ein richtig guter und zudem vielseitiger Basketballer ist: Der Small Forward kann aus der Distanz werfen oder zum Korb ziehen, er ist sowohl schnell als auch kräftig, in Abwehr und Angriff gleichermaßen zu gebrauchen. Vor allem aber hat man jemanden wie Lucic deshalb gern in seiner eigenen Mannschaft, weil man dann nicht gegen ihn spielen muss. Denn das kann unangenehm werden, weil einer wie Lucic nicht nur schön spielen kann, sondern auch nicklig; manche Beobachter finden sogar: schmutzig.

Von Fans des FC Bayern München wird man das freilich nie hören, für die ist Lucic einfach clever - er gehört ja zu ihrer Mannschaft. Und der hat er am Sonntag maßgeblich zum Auftaktsieg in der Finalserie um die deutsche Meisterschaft verholfen, zum 74:70 (36:37) gegen Alba Berlin. "Ein schweres, interessantes Spiel", fand Münchens Trainer Dejan Radonjic, FC-Bayern-Geschäftsführer Marko Pesic sprach von einem "ganz komischen Spiel", sein Berliner Kollege Marco Baldi resümierte: "Es war offensichtlich, dass das Spiel nicht von den Spielern entschieden worden ist."

Sondern von den Schiedsrichtern, darin waren sich die Basketball-Beobachter hierzulande weitgehend einig. Die Partie war in den letzten 100 Sekunden noch gekippt nach mehreren zumindest strittigen Entscheidungen, die alle zugunsten des gastgebenden Titelverteidigers ausfielen. Und wohl nicht ganz zufällig wurde Lucic fast immer am Tatort gesichtet. Der seit Montag 30-Jährige hatte sich schon nach anderthalb Minuten zwei Fouls eingehandelt und daher lange auf der Bank gesessen; aber in der Schlussphase durfte er seine ganze Routine ausspielen. Zwei Minuten vor dem Ende verkürzte er mit einem Dreier, seinem einzigen Treffer aus dem Feld, zum 66:68. Und im nächsten Angriff der Berliner schob er den für einen Dunk abgesprungenen Landry Nnoko unter dem Korb weg, indem er ihm einen Ellbogen in den Rücken drückte. Dass die Unparteiischen das nicht ahndeten, war ein Fehler; dass sie dem Alba-Center anschließend ein Technisches Foul aufbrummten, weil der sich beschwerte, war zwar regelkonform, aber dennoch ärgerlich für die Berliner: Ähnliches Lamentieren auf Münchner Seite hatten die Referees zuvor konsequent ignoriert. Statt zwei Freiwürfen für Berlin gab es jedenfalls einen Freiwurf für München sowie anschließenden Ballbesitz, statt eines möglichen 66:70 stand es danach 67:68, weil Lucic den Freiwurf verwandelte. Der folgende Bayern-Angriff endete mit einem weiteren diskutablen Foulpfiff gegen Alba - mit den fälligen Freiwürfen brachte Münchens erfolgreichster Werfer Nihad Djedovic (18 Punkte) sein Team in Führung - 69:68. Eine Minute und zwei Angriffe später, beim 71:70, kreideten die Unparteiischen dem Alba-Spielmacher Peyton Siva schließlich ein Offensivfoul an, von dem es selbst in der Pressemitteilung der Münchner hieß, es sei "provoziert" gewesen. Lucic war theatralisch mit den Armen wedelnd über den Boden gerutscht, nachdem er mit dem zwanzig Zentimeter kleineren und zehn Kilo leichteren Amerikaner kollidiert war. Für Siva war es das fünfte Foul, Berlins Bester (14 Punkte, davon elf im letzten Viertel) musste vom Feld, die Münchner bekamen erneut den Ball - und brachten den Vorsprung routiniert über die Zeit.

"Wir haben nicht super-smart reagiert", gibt Albas Kapitän Niels Giffey zu

Es spricht für die Herausforderer aus Berlin, dass sie sich nicht lange mit den Umständen der Niederlage aufhielten. "Man braucht jetzt nicht über das fünfte Foul von Siva reden", fand ihr Coach Alejandro Garcia "Aito" Reneses: "Es bringt nichts, über einzelne Aktionen zu reden." Kapitän Niels Giffey sprach auch bloß von "ein, zwei Calls, die nicht in unsere Richtung gegangen sind", und bilanzierte: "Wir haben nicht super-smart darauf reagiert." Selbst Peyton Siva ließ sich unmittelbar nach der Partie vor den Kameras von Magentasport nicht auf eine Schiedsrichterschelte ein. "Wir können die Niederlage nicht komplett an ihnen festmachen", sagte er; stattdessen kam er zum selbstkritischen Schluss: "Am Ende waren es ein paar Fehlwürfe und Ballverluste von uns, die München ausgenutzt hat. Daraus müssen wir lernen."

In der Tat hatten die Berliner zuvor genug Gelegenheiten gehabt, den Ausgang der Partie frühzeitig in ihre Richtung zu lenken. Aber im dritten Viertel nutzten sie die Hälfte ihrer zehn Freiwürfe nicht, und im letzten Abschnitt versäumten sie es nach dem 58:66 (35.), ihren Vorsprung auszubauen - Siva und Luke Sikma vergaben in dieser Phase nacheinander relativ freistehend Drei-Punkte-Würfe.

Den favorisierten Münchnern war offensichtlich bewusst, dass sie gerade noch einmal davongekommen waren. Trainer Radonjic beließ es in seinem Resümee jedenfalls bei den Worten: "In den Playoffs ist das Wichtigste, zu gewinnen." Doch Manager Pesic räumte ein, dass die Mannschaft nicht wirklich überzeugt hatte und forderte: "Es sollte noch ein bisschen mehr kommen in der Serie." Die wird nach dem Modus Best-of-five ausgespielt und mit der zweiten Partie am Mittwoch (20.30 Uhr) in Berlin fortgesetzt. Die unglückliche Niederlage schienen die Alba-Profis schnell abgehakt zu haben. "Es hilft uns nicht weiter, das mit uns rumzutragen", fand Manager Baldi: "Wir müssen uns auf die Dinge konzentrieren, die wir beeinflussen können."

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SZ vom 18.06.2019
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