Süddeutsche Zeitung

Baseball:Die Angst der Legionäre

Lesezeit: 3 min

Der Baseball-Standort Regensburg ist erfolgreich mit dem Transfer seiner Internatsspieler in die USA - doch im Kampf um die Meisterschaft ist zum dritten Mal in Serie nach dem fünften Halbfinalspiel Schluss. Das wurmt auch Klublegende Matt Vance.

Von Christoph Leischwitz

Keine vier Stunden vorher hatte noch Riesenstimmung in der Baseball-Arena in Schwabelweis geherrscht, am späten Sonntagnachmittag wurde es aber zunehmend ruhiger. Die Regensburg Legionäre waren in Spiel fünf der Halbfinal-Serie um die deutsche Meisterschaft seltsam unterlegen, letztlich erzielten sie gegen Paderborn keinen einzigen Punkt.

Noch seltsamer mutete dieser Zu-Null-Shutout an, weil die Oberpfälzer Spiel vier mit 11:1 klar für sich entschieden hatten, sie schienen rein psychologisch als Favorit und mit Heimvorteil in das entscheidende Spiel zu gehen. In Spiel fünf der Serie folgte dann, Dutzende Male, nur noch ein langgezogenes "Ooooooooh" von den rund 700 Zuschauern, wenn zwar wieder einmal ein Regensburger den Ball getroffen hatte, aber sofort erkennbar war, dass dieser Schlag leicht aus der Luft zu pflücken war. Die Untouchables aus Ostwestfalen waren in diesem Spiel unerreichbar. Sie treffen im Finale auf die Bonn Capitols.

20 Minuten später steht Matt Vance im Gang zwischen Kabinen und Duschen, aus Letzterem ertönen die Gesänge des Gegners. Deren Pitcher aus Spiel fünf will gerade dorthin. "Hey man", sagt Vance, und gratuliert ihm anerkennend. Benjamin Thaqi, der Held des Tages, und das auch noch an seinem 26. Geburtstag, blickt geradezu schüchtern drein. Vance ist 36 und genießt auch außerhalb Regensburgs Legendenstatus. Im Juli brach Vance einen gerdmülleresken Ewigkeitsrekord des Legionärs Ludwig Glaser, als er seinen 568. Hit landete (also mindestens auf die erste Base gelangte). Legionäre-Vorstand Armin Zimmermann bezeichnet ihn als einen "Veteran", der seit 13 Jahren konstant gute Leistungen abrufe.

Zu Beginn erlebte Vance vier deutsche Meisterschaften in Serie mit, und seitdem: keine einzige

Vance ist ein fairer Verlierer. Aber natürlich macht er nun ein Gesicht, als ob das Frustbier in seiner Hand etwas zu lange gegärt hat. Dass Thaqi gerade mal auf 91 Würfe in neun Innings kam, zeigt, dass die Legionäre den gegnerischen Werfer nicht richtig gefordert hatten. "Er hat einen guten Job gemacht", findet Vance, aber er sieht den tieferen Grund für die Niederlage beim eigenen Team. "Es fehlt ein bisschen das Selbstvertrauen", sagt er, "wir haben immer ein bisschen zu ängstlich gespielt in diesen Momenten."

Damit meint er ganz allgemein das fünfte Spiel einer Halbfinalserie - zum dritten Mal sind die Legionäre nun genau dort gescheitert: 2020 gegen Heidenheim mit einem klaren 3:10, 2021, auch gegen Heidenheim, mit 0:1. Jetzt also 0:6 gegen Paderborn. "Es wird viel Bewegung geben, glaube ich", sagt Vance über den künftigen Kader.

Der gebürtige Kalifornier ist jetzt schon seit 13 Jahren in Regensburg. Zu Beginn erlebte er vier deutsche Meisterschaften in Serie mit, und seitdem: keine einzige. Es wäre ein perfekter Zeitpunkt gewesen. Am 16. September startet der World Baseball Classic Qualifier in Regensburg, gerne hätten sie sich den Stress gegeben, sofort nach der Finalserie umbauen zu müssen für diese Großveranstaltung. Genau vor zehn Jahren war die WBC schon mal hier, eine Meisterschaft hätte die perfekte Zeitreise bedeutet. Man müsse mal zusehen, dass man wieder so spiele wie damals, als man erfolgreich war, sagt Vance. 2012 durfte er hier für die deutsche Nationalmannschaft antreten, weil er damals schon seinen festen Wohnsitz in der Oberpfalz hatte. 2016 spielte er für die Philippinen, dank der Nationalität seiner Mutter.

Vance studierte in Harvard, "um Baseball spielen zu können"

Der Baseball-Standort Regensburg ist mittlerweile zu einem europäischen Baseball-Aushängeschild gereift. Das macht die Tatsache umso problematischer, dass die Legionäre nun schon seit zehn Spielzeiten titellos sind. Erfolgreicher ist man mit dem Verkauf der hauseigenen Internatsspieler in die USA. Die Geschichte von Matt Vance allerdings zeigt auch, dass die Beziehung mit der Major League Baseball (MLB) keine sportliche Einbahnstraße ist. "Der Vater meines Mitbewohners in der Uni war ein Scout für die Cincinnati Reds", erzählt Vance. Davor habe er gar nicht gewusst, dass in Europa Baseball gespielt werde. Die Reds waren es auch, die in Donald Lutz den ersten deutschen Spieler verpflichteten, der es 2013 in die höchste Spielklasse schaffte.

Studiert hat Vance übrigens in Harvard. Darüber lässt er folgenden für europäische Ohren beachtlichen Satz fallen: "Ich habe dort studiert, um Baseball spielen zu können." Selbst das Hauptfach schien ihm egal zu sein, biologische Anthropologie, heute jedenfalls arbeitet er als IT-Experte für einen großen Automobilkonzern. Baseball spielt er nur noch "aus Liebe", wie er sagt. Diese Liebe habe er in Deutschland wieder entdeckt, wo die Menschen Baseball eben nicht aus Karrieregründen spielten.

Ob er nochmal zurückkommt? "Es macht immer noch Spaß", sagt er, das sei für ihn die Hauptsache. Aber ihm ist anzumerken, dass es ihn auch wurmt, wie lange der letzte Titel schon zurückliegt. Es wäre vielleicht der einzige Nachteil für die Regensburger, wenn es endlich mal wieder klappt: Sie müssten sich Sorgen machen, dass die Legende dann ihre die Karriere beendet.

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