Süddeutsche Zeitung

Ski Alpin:Dramen und Elogen

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Der eine hat sich in der Weltspitze etabliert, der andere befindet sich auf dem furchigen Weg zurück: Alexander Schmid und Stefan Luitz stehen in Alta Badia für die unterschiedlichen Stimmungslager der deutschen Alpinen.

Von Korbinian Eisenberger, Alta Badia

Um die hohe Startnummer 34 war der Skirennläufer Stefan Luitz nicht zu beneiden, als er sich in den von Stahlkanten zerfurchten Hang stürzte, beim ersten von zwei Riesenslaloms gerade in Alta Badia. Dennoch fuhr er direkter auf die Tore zu als viele vor und nach ihm, was mehr Kraft erfordert und stärker auf Bänder und Knochen drückt - im Erfolgsfall aber schneller ist. Und dies war ein solcher Erfolgsfall. Von allen Fahrern jenseits der besten 30 war er der schnellste und ging als 17. - mit nun deutlich besseren Voraussetzungen - in Lauf zwei.

Einen Lauf haben heißt ja beim Riesenslalom: zwei Läufe haben. Idealerweise zwei gute. Das ist die Crux bei diesem Sport, bei dem Erfolg und Versagen von Kunststoffstangen vermessen werden, die nah genug beisammen stehen für Dramen und Elogen.

Für den angenehmeren Teil zuständig zeigte sich am Sonntag und Montag vornehmlich Luitz' Mannschaftskollege Alexander Schmid. Beim Ski-Weltcup in Alta Badia fuhr der 28-jährige Allgäuer in zwei Riesenslaloms jeweils im Kreis der Weltbesten, in dem er inzwischen festes Mitglied ist. Am Sonntag wurde Schmid Achter, am Montag Fünfter, es war das beste Ergebnis eines DSV-Fahrers im Riesenslalom in dieser Saison.

Für den Tagesordnungspunkt Drama hatte die Gran-Risa-Piste wiederum Stefan Luitz auserkoren. Der 30-Jährige vom SC Bolsterlang hatte, wie häufiger in seiner Karriere, Hinweise hinterlassen, dass er in der Spitzengruppe der Riesenslalomfahrer nicht ganz fehl am Platz wäre. Dieses Zwischenfazit wollte er am Sonntag im zweiten Lauf bestätigen. Luitz war auch schon fast im Ziel, dann blieb er mit dem linken Arm am siebtletzten Tor hängen und verkantete. Die Chance auf eine vordere Platzierung war dahin.

Für den Tagesordnungspunkt Drama hatte die Gran-Risa-Piste Stefan Luitz auserkoren

Auf seine Stöcke gestützt schaute er nach dem Rennen fast ungläubig hinauf zur Gran Risa, die ihm nun doch noch zum Verhängnis geworden war. "Ich bin vielleicht ein bisschen zu direkt in die letzten Toren gefahren", erklärte er. "Eine kleine Unkonzentriertheit." Einen Tag später verpasste er - erneut mit hoher Startnummer - den zweiten Lauf. Und so nahm er aus Alta Badia einen 28. Platz und seine drei ersten Weltcuppunkte dieser Saison mit. Fazit: "Ich weiß, dass das Tempo da ist, aber mir fehlen einfach noch Kilometer im Rennen, ich muss jeden Schwung nutzen."

Während der eine erste Schritte macht auf dem zerfurchten Weg zurück zur Stammkraft, hat sich Branchen- und Teamkollege Alexander Schmid also zur verlässlichen Führungskraft entwickelt. In dieser nicht mehr ganz so neuen Position ist er als 14. im Gesamtweltcup nunmehr sogar bester Deutscher. Im Ziel klopften ihm viele Hände auf die inzwischen verheilte Schulter. "Ich bin überglücklich, dass das alles so aufgegangen ist", sagte er. "Das macht Lust auf mehr."

Stefan Luitz hatte sich indes vor die voll besetzten Tribünen begeben. Seinen Sohn Leano auf dem Arm stand er da und schaute jenen zu, die Kollege Schmid zu verdrängen gedachten. Es gelang unter anderem dem Sieger und Gesamtweltcupführenden Marco Odermatt; Henrik Kristoffersen wurde Zweiter vor Zan Kranjec aus Slowenien. Weil Luitz' Zugangskarte nicht um seinen Hals baumelte, wollte ihn ein Ordner schon aus der umzäunten Zone bitten. Doch Luitz und Leano blieben standhaft.

Luitz wirkt nicht wie einer, der daran zweifelt, nochmal Stammkraft für die vorderen Ränge werden zu können. Das werden sie beim Deutschen Skiverband gerne hören, wo sie sich zudem gerne erinnern. Etwa an die großen Auftritt in Beaver Creek, wo Luitz im Dezember 2018 den Riesenslalom gewann, vor dem großen Dominator Marcel Hirscher - der jetzt ebenfalls im Zielraum von Alta Badia stand. Tatsächlich hatte Luitz zu diesem Zeitpunkt gerade erst seinen zweiten Kreuzbandriss auskuriert, die Vollendung schien nahe zu sein, endlich einmal.

Die Biografie von Stefan Luitz liest sich bisweilen wie ein Stück von Brecht

Stattdessen ging das Dilemma in die nächste Runde: Ein Betreuer eines konkurrierenden Teams hatte fotografiert, wie Luitz zwischen den Läufen von Beaver Creek - auf 3000 Metern Höhe - künstlichen Sauerstoff inhaliert hatte. Im Reglement des Ski-Weltverbands ist dies während des Rennens verboten. Der DSV hatte sich aber am Regelwerk der Welt-Anti-Doping-Agentur orientiert, das den Einsatz gestattet. Die Fis nahm Luitz den Sieg zunächst ab, ehe der Internationale Sportgerichtshof den Spruch revidierte.

So liest sich Luitz' Biografie bis heute wie ein Brecht-Stück. Immer wenn er einen Lauf hatte, tat sich eine Furche auf und verschluckte ihn. Ende 2019 war er wieder in Fahrt gekommen, er wurde in Alta Badia Zweiter im Parallel-Riesenslalom. Im Februar 2021 gewann er bei der Ski-WM in Cortina d'Ampezzo im Teamwettbewerb Bronze. Er war gesund, endlich einmal. Kurz vor den Olympischen Spielen in Peking hieß die Diagnose dann: Bandscheibenvorfall. Wieder nichts.

Ein Jahr lang konnte Luitz gar nicht Ski fahren, er hatte kurz zuvor erst den Materialausrüster gewechselt, da braucht es oft noch mal zusätzlich Zeit, ehe sich gute Ergebnisse zeigen. Bis Februar immerhin hat er noch die Chance, sich für die Weltmeisterschaft in Méribel und Courchevel zu qualifizieren. "Er hat gezeigt, dass er vorne wieder mitfahren kann", sagte Alexander Schmid noch, während Stefan Luitz sich aufmachte. Mag sein, dass er noch Altlasten mit sich herumschleppt. In diesem Moment schob er nur einen Kinderwagen.

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