Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Hauptdarsteller im falschen Film

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Von Mo Salah war viel erhofft worden. Aber die Last der Erwartungen wog so schwer wie die Verletzung an der Schulter.

Von Johannes Aumüller, Sankt Petersburg

Der Hauptdarsteller kam als Letzter. In einer langen Reihe waren die ägyptischen Spieler den umständlichen Weg durch die Mixed-Zone des Petersburger Krestowskij-Stadions gegangen, einer im Windschatten des anderen, aber alle, ohne ein einziges Wort zu sagen. Dann vergingen noch einmal ein paar Minuten, und endlich kam auch Mo Salah, 26, der Volksheld und Top-Angreifer. Enttäuscht und traurig sah er aus, und natürlich sagte auch er nichts, sondern schüttelte nur ausdauernd den Kopf.

So viel hatten sich "die Pharaonen" bei dieser WM erwartet, stattdessen sind ein 0:1 gegen Uruguay zum Auftakt und ein 1:3 gegen Russland am Dienstagabend dabei herumgekommen. Und Salah hat nicht wirklich helfen können, obwohl er gegen den Turnier-Gastgeber trotz seiner verletzten Schulter auflief. Er sollte mal einer der Hauptdarsteller dieses Turnieres werden, jetzt ist er eine der aus sportlicher Sicht traurigsten Figuren. Und sein Fall ist ein Lehrstück, was passiert, wenn es viel zu hohe Erwartungen in eine Person gibt.

Es ist ein bitteres Ende einer Saison, die für den Mann vom FC Liverpool so viele Erfolge, so viele Tore und so viel Lob bereithielt. Vor knapp vier Wochen hatte er sich im Champions-League-Finale nach einem Foul von Real Madrids Sergio Ramos an der Schulter verletzt. Wochenlang bangten danach Ägyptens Fans, ob er an der WM teilnehmen können würde. Das erste Spiel ließ er aus, und beim zweiten, da stand er dann auf dem Platz.

Jeder seiner Aktionen fieberten die auffallend vielen ägyptischen Zuschauer entgegen. Die erste Ballberührung nach 22 Sekunden; der erste Sprint nach 1:45 Minuten; das erste Anlaufen der Abwehr nach neun Minuten; das erste versuchte Dribbling nach 13 Minuten; das erste Auftauchen im Strafraum nach 14 Minuten; die erste Beinahe-Chance nach 34 Minuten; die erste Blitz-Kombination mit Marwan Mohsen nach 38 Minuten; der erste Torschuss nach 42 Minuten, der zweite nach 56, das erste Tor per Elfmeter nach 73.

Gewiss, Salah wurde gegen Ende der Partie stärker, insbesondere nach einer Systemumstellung, nach der er mehr in die Mitte rutschte, und er war an der Hälfte aller ägyptischen Torszenen beteiligt. Und dennoch hatte es über weite Strecken den Anschein, als seien er und seine Schulter schlicht noch nicht so weit, um auf einer solchen Bühne wieder mitzuwirken. Die Zweikämpfe mit seinem Gegenspieler Jurij Schirkow suchte er nicht wirklich. Und es ist durchaus die Frage, ob es sein Körper noch bereuen wird, dass Salah aufgrund des offenkundig hohen Drucks so früh wieder spielte. Aber der Trainer Hector Cuper gab sich ungerührt: "Die Ärzte sagten, er sei in Top-Form."

Cuper ist die zweite Person, um die es nun viele Diskussionen gibt. Seit drei Jahren ist der Argentinier Trainer der ägyptischen Nationalmannschaft, aber es sieht sehr danach aus, dass kein viertes Jahr folgt. Die Kommentatoren großer ägyptischer Zeitungen äußern sich extrem kritisch, und Cuper selbst scheint schon den Rückzug angetreten zu haben. "Es hängt auch nicht nur von mir ab. Wenn sie mit meiner Arbeit unzufrieden sind, bin ich der erste, der freiwillig geht", sagte er. Cuper weiß, wie das Geschäft funktioniert, er hat im vergangenen Jahrzehnt sieben verschiedene Mannschaften trainiert.

Als dann auch Salah die Mixed-Zone wortlos verlassen hatten, flog das Team noch in der Nacht weg - und am frühen Morgen war es wieder dort gelandet, wo es tatsächlich Verantwortliche gibt, die mit dem Auftritt der Ägypter in den vergangenen beiden Wochen sehr zufrieden waren. Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, berüchtigt für seine Gewalt- und Willkürherrschaft, hatte sich so sehr gewünscht, dass ein WM-Teilnehmer in seiner Hauptstadt Grosny Quartier beziehen würde. Die Ägypter kamen, und so konnte Kadyrow den Besuch zur Propaganda im eigenen Sinn einsetzen, insbesondere durch Fotos mit Mo Salah. Daran kann auch der unerhofft schwache sportliche Auftritt nichts ändern.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2018
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