Süddeutsche Zeitung

2. Fußball-Bundesliga:Das große Schweigen bei 1860 München

Lesezeit: 3 min

Präsident, Geschäftsführer, Sportchef, Trainer: alle abwesend, nicht vorhanden oder verstummt. Wer trifft beim TSV 1860 eigentlich die Entscheidungen?

Von Markus Schäflein

Wer im Januar von der kleinen Hafenstadt Setubal auf die Halbinsel Troia übersetzt, hat die Fähre fast für sich alleine. Das Urlaubsresort südlich von Lissabon ist im Winter eine Geisterstadt, die Läden und Restaurants sind verwaist, auf den Straßen streunen nur ein paar Katzen und ein Hund durch den Nebel. Die einzigen Menschen, die hier anzutreffen sind, sind die Zweitliga-Fußballer des TSV 1860 München, die sich in der Ruhe Troias ganze 16 Tage lang unter ihrem neuen Trainer Vitor Pereira auf die Rückrunde vorbereiten; sie üben in einem schick angelegten neuen Camp von Trainerberühmtheit Jose Mourinho, in den Dünen, direkt neben einem militärischen Sperrgebiet gelegen.

Durch die Stille hallt am Freitagmorgen eine Frauenstimme in Endlosschleife, die klingt, als würde sie im Aufzug das Stockwerk ansagen. "Three, two, one, run", dann rennen die Spieler beim Leistungstest, wenden, "stop and rest", dann machen sie eine ganz kurze Pause, dann geht es wieder von vorne los. Die Übung an sich ist nichts Ungewöhnliches, aber "mit einem Lautsprecher und so, das macht schon was her", stellt Linksverteidiger Maxi Wittek fest.

Der 21-Jährige freut sich, "Playstation und Kniffel" mitgebracht zu haben, denn dass sich Ausflüge in den Ort nicht lohnen, hat er schon festgestellt: "Ich weiß nicht, ob hier so viel ist. Bis jetzt habe ich einen Supermarkt gesehen und ein Sportgeschäft, das geschlossen war."

Ein Winter-Zugang könnte nicht schaden

So still wie die ganze Insel sind derzeit auch die Verantwortlichen des TSV 1860. Geschäftsführer Anthony Power ist in Troia ohne offizielle Begründung nicht anwesend, Präsident Peter Cassalette weilt noch in Urlaub, einen Sportchef gibt es nicht mehr, und Trainer Pereira, der seit seiner Präsentation mit dem legendären Ruf "We go to the top" gar nicht mehr gesprochen hat, sagte eine für Freitag angesetzte Presserunde ab; er klagte über Heiserkeit.

Das gesamte Trainingslager, für das die Münchner den bereits geplanten Ausflug ins spanische La Manga kostspielig stornierten, wird von einer portugiesischen Agentur betreut; sie ist auch für die Ansetzung der noch nicht benannten vier Testspiele zuständig. So dass der Klub keine Auskunft geben konnte, ob das laut der Internetseite futmob.com angesetzte Testspiel gegen den FC Sion am 12. Januar wirklich stattfindet. Und auch zu den weitaus größeren Problemen gibt es derzeit keine Antworten - das dringendste ist wohl die Frage, wer in der Rückrunde für die Löwen stürmen wird.

Ein Zugang für diese Position könnte jedenfalls nicht schaden: Ivica Olic, 37, ist nach überstandenem Magen-Darm-Infekt derzeit im Training fleißig bei der Sache, aber in der Hinrunde zeigte sich, dass er vor allem wegen seines Knies verletzungsanfällig ist; bei Sascha Mölders, 31, wurde in Troia eine Schambeinentzündung diagnostiziert, eine langwierige Sache, die ihn wochen-, wenn nicht monatelang zum Aussetzen zwingen wird; und auf den Einstieg des 19-jährigen Brasilianers Ribamar, der im Sommer für 2,5 Millionen Euro Ablöse kam und seitdem verletzungsbedingt nie spielte, ins Mannschaftstraining warteten die Münchner am Freitag weiterhin.

"Ich habe die ganze Zeit versucht, dass es klappt", teilte Mölders auf Facebook mit, aber er könne "nicht mal normal joggen. Leider kann man damit überhaupt kein Programm machen." Am Freitag reiste er zusammen mit Ribamar, dessen Gesundheitszustand noch einmal geprüft werden sollte, zu einem Arzt in die rund 400 Kilometer entfernte Großstadt Porto, den Trainer Pereira gut kennt. Nach der Untersuchung flog Mölders zurück nach München, immerhin kam Ribamar ins Trainingscamp zurück.

Wer sich um einen eventuellen Sturmzugang kümmern könnte, ist schwer zu sagen. Von Zugängen, die laut Pereiras Worten zum Amtsantritt "hierher gebracht werden, um die Mannschaft zu verstärken", ist noch nichts zu sehen. Und auch für Linksverteidiger Wittek ist es unklar, wer sein Ansprechpartner wäre, wenn es um seinen im Sommer auslaufenden Vertrag geht. "Falls das Trainerteam einem nicht weiterhelfen kann, dann haben wir einen Geschäftsführer mit Anthony Power, der sich dementsprechend, denke ich, darum kümmern wird", meint Wittek, "aber so ein Gespräch hatte ich noch nicht mit ihm, er ist ja auch neu und hat wahrscheinlich genügend Baustellen."

Er gehe davon aus, dass "im oder nach dem Trainingslager der eine oder andere Austausch zustande kommt". Anfragen von anderen Klubs seien vorhanden, sagt Wittek, "aber ich konzentriere mich jetzt erst mal auf die Rückrunde, ich habe ja noch einen Vertrag". Diesen zu verlängern oder noch eine Ablöse zu erhalten, liegt, sollte man meinen, in erster Linie im Interesse des Klubs.

Der Nebel und die Stille auf Troia mögen symbolisch sein für die Lage der Löwen - die Promenade am Yachthafen von Troia ist es hoffentlich nicht. Dort gibt es zwischen vielen verlassenen Läden auch das feine Fischrestaurant "Ribamar". Es ist derzeit geschlossen.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2017
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